Iran:
"Militäroperation hätte desaströse Folgen"

 

 VON WOLFGANG GREBER (Die Presse) 07.04.2006

 

Expertenrunde an der Universität Princeton über den Atomstreit: Haben die Mullahs die besseren Karten?

PRINCETON. Im März 2005 warnte der Leiter des "Liechtenstein Institute for Self-Determination" an der US-Elite-Universität Princeton, Wolfgang Danspeckgruber, in der "Presse" vor dem "heißesten Atomkonflikt seit der Kubakrise", sollte es nicht gelingen, den Streit um das Atomprogramm des Iran zu lösen. Seither haben EU und USA die Sache vor den UN-Sicherheitsrat gebracht, der dem Iran bis Ende April Zeit gab, die Uran-Anreicherung einzustellen. Teheran aber droht mit der Ölwaffe und provoziert mit Raketentests, während aus den USA, Israel - und neuerdings Großbritannien - vermehrt Säbelrasseln zu hören ist.

Auf Einladung des gebürtigen Oberösterreichers Danspeckgruber fand sich eine Runde hochkarätiger Politologen, Diplomaten, Historiker und Militärs in der Universität Princeton (New Jersey) ein, um diskret über Hintergründe und Aussichten des Konfliktes zu diskutieren. "Die Presse" darf exklusiv über das Treffen berichten - unter der Auflage, die Zitate und teils hochbrisanten Gesprächsinhalte nicht den Urhebern zuzuordnen. Im Folgenden einige Kernaussagen der Expertenrunde:

[*] Irans "imperiale Rolle": Irans Eliten sind sich des historischen Erbes des Persischen Reiches in der Region bewusst und spielen, gestützt auf Petrodollars, diese Macht aus. Die soziokulturelle "soft power" Irans strahlt über die Grenzen aus, etwa nach Afghanistan, in den Irak, den Kaukasus, Turkmenistan. "Iran ist eines der wenigen Länder, das den Übergang vom Imperium zum Nationalstaat geschafft hat, ohne an Einfluss zu verlieren". Folge: Iran begreift sich als Macht, die sich gegenüber "neuen" Mächten wie den USA als ebenbürtig erachtet.
[*] Stand des Atomprogramms: Irans Uran-Konversion erzeugt qualitativ schlechtes Uran-Hexafluorid, Grundstoff für die Anreicherung. Die Anreicherungsanlage Natanz ist in schlechtem Zustand: Uranzentrifugen sind sensibel und müssen arbeiten, um nicht "einzurosten". In Natanz standen in Folge einer Vereinbarung Iran-EU 164 Zentrifugen mehr als zwei Jahre lang still - jetzt müssen sie überholt werden. Um genug Uran für eine Bombe anzureichern, müssen 1000 Zentrifugen ein Jahr lang arbeiten. Mehr als zehn neue Zentrifugen pro Woche sind kaum machbar. Irans Drohung, bald 5000 Zentrifugen arbeiten zu lassen, ist Propaganda.
[*] Will der Iran die Bombe? Daran zweifelt kaum jemand. "Es gibt ein klares Muster, das auf eine militärische Absicht des Atomprogramms hinweist", sagte ein Teilnehmer. Ein anderer meinte: "Sie wollen sie nicht unbedingt bauen. Aber sie wollen dorthin, von wo sie nur noch um die Ecke liegt."
[*] Ahmadinejads Macht: "Mit seiner Obsession von der Wiederkehr des "versteckten Imam macht sich Irans Präsident bei den meisten Ayatollahs unbeliebt." Seine Machtbasis ist klein, nun nutzt er das Nuklear-Thema, um von der schlechten Performance seiner Regierung abzulenken. Er braucht die Krise. Ahmadinejad will aber auch die Verwaltungs-Elite aufbrechen. "Das erweckt den Zorn dieser mächtigen Schicht."
[*] Verhandlungen EU - Iran: "Die Iraner werfen der EU vor, dass ihre Verhandlungs-Mission vor allem eine Art Selbsttherapie wegen ihres schwierigen Verhältnisses zu den USA gewesen sei. Und da haben sie gar nicht so Unrecht." Und: "Wer die zweieinhalb Jahre dauernden Verhandlungen EU - Iran verfolgt hat, der sah, dass die Europäer immer die wechselseitige Dämonisierung Iran - USA auf den Schultern tragen mussten. Und das können die nicht tragen."
[*] Die Sicherheitsrats-Resolution gegen Iran: "Rechtlich ist es fast unmöglich, gegen das Atomprogramm zu argumentieren." Der Iran wird sich in der 30-Tagesfrist kaum bewegen. Es ist denkbar, dass quasi "die Uhr angehalten wird", sodass daraus zwei bis drei Monate werden könnten.
[*] Sanktionen: Harsche UN-Strafmaßnahmen sind wegen Russland und China kaum denkbar. Sollte der Iran nicht einlenken, wird der Sicherheitsrat wohl eine "erboste" Resolution beschließen; danach eine mit einer milden politischen Sanktion. Sanktionen dürften aber wenig bewirken, so ein US-Diplomat. Und: "Sanktionen tun weh - wenn man ein Freund ist."
[*] US-Hilfe für Exil-Iraner: Die 75 Mill. Dollar, die die USA jüngst zur Unterstützung iranischer Exil-Gruppen bereitstellten, dürften verschwendetes Geld sein. "Dieser Personenkreis ist nicht arm, wieso konnte er nicht selber das Geld sammeln?"
[*] Regimewechsel erzwingen? Die USA nennen einen Regimewechsel als ihr Ziel. Auf Nachfrage gibt die US-Regierung jedoch angeblich zu, nicht zu wissen, wie sie die Mullahs stürzen soll. Für die USA ist es derzeit äußerst hart, in regimekritischen Kreisen im Iran Fuß zu fassen.
[*] Luftangriffe gegen Atomanlagen: sind trotz erheblicher iranischer Luftabwehr erfolgversprechend. Allerdings: Das gesamte militärisch nutzbare Atomprogramm ist nie völlig zerstörbar. Der Iran würde danach einfach weitermachen.
[*] Bodenkrieg: Er würde mindestens sechs bis acht Divisionen Fronttruppen erfordern (etwa 250.000 Mann), dazu dieselbe Menge an rückwärtigen Diensten. Das überfordert die USA derzeit. Aufgrund der Truppenrotation und rechtlicher Bestimmungen sind die US-Reserven schon für den Irak extrem ausgedünnt. Alliierte für einen Bodenkrieg sind nicht in Sicht.
[*] Kommandounternehmen: Mindestens ein Dutzend Kommandoeinheiten, jede in Zugstärke, sowie mehrere Kompanien Marines und Rangers als Reserve-Eingreiftruppe wären nötig, um das Atomprogramm unschädlich zu machen. "Aus Sicht von Kommando und Kontrolle dieser Einheiten ist die Wahrscheinlichkeit eines Desasters groß."
[*] Anwerbung lokaler Stämme: Die USA erwägen Anwerbung pakistanischer Stämme an der iranischen Grenze bzw. lokaler iranischer Stämme für einen Aufstand. Deren Macht sei nicht zu unterschätzen; selbst der Schah habe lokalen Stämmen Tribut erwiesen, wenn er in seine Sommerresidenz nach Persepolis gefahren sei. Allerdings: Deren Kampfkraft und Loyalität sind fraglich. "Damit würden wir dünnes Eis betreten. Im Grund wäre es terroristisch."
[*] Juden als Attentäter: Die Anwerbung iranischer Juden (schätzungsweise bis zu 40.000 Juden leben dort) für Attentate und Sabotage gilt als Option. Auch hier wäre der Effekt fragwürdig, die Methode an sich Terror.
[*] Folgen einer Militäraktion: Iranische Angriffe gegen Schiffe im Persischen Golf; Aktivierung von Terroristen in Nahost und mit den USA befreundeten Ländern; unübersehbare Gewaltspirale in der Region; Ölboykott. Besonders gewarnt wird vor den Folgen im benachbarten Irak. "Der Südirak wird faktisch vom Iran verwaltet. Wenn man in Basra eine Fabrik aufmachen möchte, muss man in Teheran ansuchen." Und: "Eine militärische Operation hätte desaströse Folgen." Quintessenz: "Die Risken übersteigen die Chancen bei weitem."
[*] Sich abfinden mit Irans Bombe? Ein israelischer Vertreter machte eine beachtenswerte Bemerkung: "Es geht weniger darum, ob der Iran die Bombe hat oder nicht. Es geht darum, wer den Finger am Auslöser hat. Und der derzeitige Finger ist nicht akzeptabel."

HOME