FRAUEN
IM IRAN |
|
Frecher
Flirt mit der Freiheit |
|
Ein Präsident mit atomaren
Visionen, hasserfüllte Mullahs, das Volk zwischen Aufbruch und Lethargie.
Wie viel Selbstbestimmung lässt der Alltag zu?
VERA
RÜTTIMANN, TEHERAN |
|
|
|
Selbstbewusster Blick einer Keramikmeisterin in Isfahan; die Künstlerinnen Gisella
Varga Sinai und Farah Ossuli in ihrem
Teheraner Atelier. Schnappschüsse in einem Feinkostgeschäft und im
Teehaus. Ebenfalls in Isfahan steht die Scheich-Lotfollah-Moschee (von oben). |
Der Imamplatz in Isfahan. Am
späten Nachmittag, wenn die Hitze langsam abklingt, beginnt sich die von
Moscheen, Palästen und doppelstöckigen Arkaden umschlossene Rasenfläche mit
Leben zu füllen. Auf ausgerolltenTeppichen sitzen
Männer und saugen an ihren Wasserpfeifen, Frauen trinken plaudernd Tee. Auf
diesem Platz schlägt das Herz der Stadt, die von der Unesco
zum Weltkulturerbe erklärt wurde. An Orten wie hier geht man aus, zeigt sich,
flaniert. Junge Frauen kichern, wenn Touristinnen an ihren schlecht sitzenden
Kopftüchern herumzupfen müssen. Die meisten Frauen tragen hier einen Tschador. Isfahan ist trotz der
verströmten Lockerheit ein konservatives Pflaster.
Am Eingang der Scheich-Lotfollah-Moschee
wartet Fatima auf Passanten.Sie hat kein Auge für das
blaugrundige Fayencemosaik des Eingangportals, auch nicht für die türkisfarbene
Kuppel, die mit feinen blauen Arabesken glänzt. Die 21-Jährige linst eine
deutsche Reisegruppe heran, mit der sie sofort ins Gespräch kommt. Geredet wird
von Isfahan als schönster Stadt des Iran, von
Duisburg, wo ihr Vater jetzt lebt.
Als der Name Machmud Achmadinedschad
fällt, sprudelt es aus der Fotografie-Studentin heraus: „Mit den antiwestlichen
Hetzparolen unseres Präsidenten kann ich nichts anfangen.“ Sie ist tief besorgt
über das schlechte Bild, das ein Großteil der Welt derzeit von ihrem Land hat.
Auch sonst stößt ihr manches sauer auf. Ihr Blick geht zum anderen Ende des
Platzes, wo sich ein Teehaus befindet. Auf derTerrasse
sitzen meist nur Männer, unten am Eingang steht auf einem Schild: „For women forbidden“, für Frauen
untersagt.
Mit jungen Iranerinnen wie Fatima entwickelt
sich schnell ein Gespräch.Unentwegt wird der
Iran-Reisende angesprochen, Deutsche sind hier sehr beliebt. Aus einer tief
empfundenen Isolationheraus scheinen gerade sie nach
Austausch mit Ausländern geradezu zu dürsten. Dank
Ortswechsel. Schon von weitem sieht man die
markante Silhouette der Millionenstadt Schiras, der
Hauptstadt derProvinz Fars.
Bekannt ist sie vor allem als Geburtsort der beiden persischen Dichter Saadi und Hafis. Beliebt bei Jungen ist vor allem Hafis; er
gilt verliebten Paaren als Schutzpatron. In den Flitterwochen pilgern sie
jeweils zu seinem Grabmal. Die Augen geschlossen, steigen sie meditierend die
Treppen zum Mausoleum hoch. Mit den Fingern wird an den Alabastergrabstein
geklopft, ein Vers von Hafis gesprochen und ein Wunsch geäußert.
Der Kult um Hafis ist wohl begründet: In
Hafis’ Liebeslyrik verbindet sich oftmals kongenial die Liebessehnsucht mit der
geistig-mythischen Gottessuche. Hafis schrieb nicht nur Liebesgedichte, in
seinen Versen kritisierte er oftmals auch die Doppelmoral der Machthabenden und
der Geistlichen. Der Geist von Hafis scheint in Schiras
lebendig geblieben. Über manches von dem, was der persische Dichter einst in
seinen Versen verewigte, wird auch im Teehaus im Garten geredet. Vor allemStudenten treffen sich hier zum Tee.Bedeutung
hat Schiras auch als Universitätsstadt. Einige der
Studenten im Teehaus studieren an der medizinischen Fakultät, an der
hauptsächlich in Englisch unterrichtet wird.
Sara, die ebenfalls in Schiras
studiert, ist beinahe amüsiert über die Verwunderung ausländischer Gäste über
die vielen gut ausgebildeten Frauen im Iran. Allein in Schiras
sind 60 Prozent der Studenten Frauen. Wie viele hier hat Sara nichts von dem
Duckmäusertum, das Frauen vonaußen gern angedichtet
wird.
Die Studenten hier sind auf die Stadt Schiras stolz, natürlich auch auf die 50 Kilometer nördlich
gelegene antike Residenzstadt Persepolis.
Ein gewisser Nationalstolz ist herauszuhören, wenn junge Iraner über ihr Land
sprechen. Ein Grund, weshalb die Atomkraft für Sara wie fürihre
Kommilitoninnen in erster Linie Fortschritt verheißt. Dass das Programm zu
kriegerischen Zwecken genützt werden könnte, daran glaubt sie nicht. Mit der
westlichen Welt auf Augenhöhe sein, das ist es, was junge Studenten hier
ersehnen. Und natürlich mehr Lockerheit im Alltag, statt verordnete
schiitische Trauerkultur. Ein Spruch heißt hier: „Zu Zeiten des Schahs
haben wir zu Hause gebetet und draußen getrunken, heute trinken wir zu Hause
und beten draußen.“
Die Grenzen des Erlaub
Sara kennt genügend Studenten, die im Kopf
bereits das Visum für die USAbeantragt haben. Wer das
Geld nicht hat, bei Rockkonzerten in Dubai Druck abzulassen, der muss notfalls bloggen. Das „Weblogistan“ im
Iran wächst ständig, es gibt bereits über 65000 Internettagebücher in Farsi.
Gerade Frauen empfinden es als eine Art geistiges
Nächste Station: Teheran. Mächtig heben sich
im Hintergrund die schnee-bedeckten Berge des Elburs-Gebirges ab, an dessen Fuße die iranische Hauptstadt
liegt. Bald wird wieder eine riesige Smogglocke über der Stadt liegen. Ein
Grund, weshalb sich schon frühmorgens Frauen in einem staatlich geführten
Sportzentrum treffen. Da die Frauen unbedeckt sind, ist es strikt verboten zu
fotografieren. Darüber wacht Madsanmeh Vagart, die hier in der Sportverwaltung arbeitet. Das
Gespräch mit der Frau im Tschador kommt unweigerlich
auch auf Fußball. Frauen, sagt sie, würden hier im Sportzentrum mit
Begeisterung Fußball spielen. Frauen aber im Stadion? Davon hält sie nichts:
„Ich bin überzeugt, dass Frauen das gar nicht mögen, allein schon wegen der
Krawalle.“
Ganz anders denkt darüber eineFrauen-Gymnastikgruppe, die in einem großen Park in
weiten Mänteln um sechs Frühsport treibt. „Iranerinnen lieben Fußball“, sagen
sie im Chor und zeigen in Richtung eines Platzes, wo Frauen begeistert bolzen.
Fußball ist im Iran eine hoch sensible Angelegenheit. Die meisten erinnern sich
gut an das Länderspiel gegen Bahrain im Juni 2005, als der Iran sich für die WM
qualifizierte. Frauen rissen sich im Freudentaumel die Kopftücher vom Haupt und
bildeten in der Hauptstadt langeAutokorsos.
Fahrt zum Darband
in Norden der Stadt. Vom Teheraner Vergnügungsberg aus kann man die
schneebedeckten Berge sehen, wo Wohlhabende bis ins Frühjahr hinein Skifahren
können. Die Frauen, die hier an den Ständen mit glasierten Früchten stehen,
durchbrechen den islamischen Dresscode ständig. Es wird geraucht und geflirtet.
Die Frauen tragen bunte Kopf-tücher, die am
Hinterkopf mehr hängen als sitzen. Unter den Kurzmänteln lugenmodische
Jeans hervor. Junge Männernicken Fremden durch ihre getönten Sonnenbrillen
selbstbewusst zu.
Hier unterscheidet sich Teheran nur wenig
von anderen Hauptstädten. Mancher hat bei der Sittenpolizei bereits eine dick
gefüllte Akte. Frauen genießen die Freiheiten deshalb so innig, weil siewissen, dass das Regime gerade in den ärmlichen Vierteln
im Süden der Stadt hart durchgreifen kann und drakonische Geldbußen drohen.
Seit Machmud Achmadinedschad
an der Macht ist, hat sich vor allem die Lage für Künstler und Intellektuelle
verschärft. Zu den Künstlerinnen, die den Durchbruch geschafft haben und auch
im Land geblieben sind, zählen Farah Ossuli und Gisella Varga Sinai. Die beiden Frauen wohnen in einem
großzügigen Haus im Nordwesten Teherans. Lange schon arbeiten sie an
Gegenstrategien, um im Iran arbeiten undleben zu
können. Dazu war Eigeninitiative gefragt: „Dena“
heißt die Künstlergruppe, die von den beiden bekannten Teheraner Künstlerinnen
gegründet wurde.
Farah Ossuli ist
es auch zu verdanken, dass die Gruppe bereits in über 25 Ländern ausstellen
durfte. Die in Dena aktiven Künstlerinnen eint das
Bestreben, bewusst im Iran zu bleiben und als Kreative den Widrigkeiten des
Alltags zu trotzen. Gisella Varga Sinai ist stolz,
dass sich Dena ohne finanzielle Subventionen selbst
trägt. Ziel sei auch, eine Art Gegenpropaganda für den Iran zu initiieren: „Wir
werben nicht nur für die persische Kunst, sondern auch für die Frauen in diesem
Land.“
Farah Ossuli
ergänzt: „Wir haben viel zu sagen.“ In der Art und Weise, wie sie das sagt,
meint sie damit wohl auch: Den Iran verändern können nur die Iraner selbst.
Allen voran wohl die Frauen.
http://www.merkur.de/2006_30_Frecher_Flirt_mi.14247.0.html?&no_cache=1