“Repressalien habe ich immer zu befürchten. Das ist mir egal”

15. Dezember 2010, Der Standard, Manuela Honsig-Erlenburg- Die Filmemacherin Mahnaz Mohammadi über den Mut der Frauen im Iran, ihren neuen Film und den Druck des Regimes Vor den iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 starteten die Filmemacherin Mahnaz Mohammadi und ihr Team ein ambitioniertes Projekt. Sie sammelten die Forderungen iranischer Frauenorganisationen an die Spitzenkandidaten und dokumentierten die Begegnung mit denen, die kamen. Ahmadinejad gehörte nicht zu ihnen.

"Wir alle hatten das Gefühl, die Zeit nutzen zu müssen, um den Forderungen der iranischen Frauen Gehör zu verschaffen", erinnert sich Mohammadi. Trotz regelmäßiger Einschüchterungsversuche des Regimes will die Filmemacherin ihr Land nicht verlassen, wie viele andere es nach den großen Demonstrationen im Jahre 2009 taten. Es gäbe noch "so viel, wofür wir hier einstehen können".
****
derStandard.at: Wie kam der Film "We are half of Iran's population", bei dem Sie Produktionsleiterin und Regieassistentin waren, zustande?
Mohammadi: Vor den Wahlen haben wir uns entschlossen, einen Film darüber zu machen, was Iran's Frauen von der Präsidenschaftskandidaten wollen. Wir haben uns mit Frauenorganisationen kurzgeschlossen und ihre Forderungen gesammelt. Bis vor den Wahlen haben wir Tag und Nacht an diesem Film gearbeitet und fünf Tage vorher wurde er fertig. Allerdings hatten wir keine Vorführ- und Distributionsgenehmigung. Zuerst starteten wir auf Youtube und verlinkten zu allen, die wir kannten. Außerdem haben wir den Film kopiert und auf den Straßen in Teheran verteilt. Andere haben dasselbe gemacht und so wurde der Film in weiten Teilen des Landes gesehen. Die Leute liebten den Film.
derStandard.at: Für den Film wurden die Kandidaten der vergangenen Präsidentschaftswahlen eingeladen, um zu den Forderungen der Frauen Stellung zu nehmen. War dieses Treffen zufriedenstellend?
Mohammadi: Drei von vier Kandidaten und deren Ehefrauen sind gekommen. Das allein ist schon ein Erfolg. Ahmadinedschad kam nicht. Die Kandidaten sind den Frauen und der Regisseurin gegenüber sehr respektvoll aufgetreten. Aber natürlich hatte keiner von ihnen ein Programm zum Thema Frauenrechte. Die Frau von Hossein Mussawi ist bekanntermaßen eine engagierte Frauenrechtlerin, die sich sehr für die Sache eingesetzt hat und einsetzt.
derStandard.at: Hätte es etwas an der Situation der Frauen geändert, wenn Mussawi die Präsidentschaftswahlen gewonnen hätte?
Mohammadi: Ich glaube, er hätte gerne etwas geändert, aber hätte es nicht gekonnt. Die schwierige Situation von Frauen im Iran kann man nicht nur auf die Rechtssituation zurückführen, sondern auf die Dominanz des klerikalen Establishments. Die Frauengruppen außerhalb des Iran sind daher inzwischen der Meinung, dass man, um strukturell die Situation der Frauen zu ändern, für die Säkularisierung des Irans kämpfen muß.
derStandard.at: Warum haben die Frauen im Film mitgemacht?
Mohammadi: In erster Linie aus Respekt und Verehrung gegenüber der Regisseurin Rakhshān Bani-E'temād. Zum anderen sind sich alle einig gewesen: Wir müssen etwas tun! Im Iran gibt es zahlreiche und sehr verschiedene Gruppierungen die sich für die Rechte der Frauen einsetzen. Da ist zum Beispiel die säkulare Bewegung, die religiöse Bewegung, die internationale Bewegung. Und diese Gruppen arbeiten glücklicherweise sehr gut zusammen. Es war natürlich nicht das erste Mal in unserem Film. Überhaupt existiert im Iran eine sehr starke Frauenbewegung, die die ganze Zeit mit der Regierung um ihre Rechte kämpft. Ich denke, das kommt daher, dass die Frauenbewegung hier schon länger existiert. Schon vor hundert Jahren, nach der ersten Revolution, mussten Frauen im Iran für ihre Rechte kämpfen.
derStandard.at: Hat es für die im Film auftretenden Frauen Konsequenzen gegeben?
Mohammadi: Einige Frauen, die im Film vorkommen wurden wegen ihres Einsatzes für die Rechte der Frauen verhaften und inhaftiert. Zwei oder drei von ihnen konnten das Land verlassen, als sie auf Kaution einige Tage in Freiheit waren. Wenn sich die Familie es leisten kann, die Kaution zu bezahlen, dann setzt sich die Person ins Ausland ab. Manchmal passiert es dann aber auch, dass dann Familienmitglieder – quasi als Ersatz – inhaftiert werden.
derStandard.at: Und die Frauen machten in vollem Wissen ob dieses Risikos beim Film mit?
Mohammadi: Ja. Wir alle hatten das Gefühl, die Zeit nutzen zu müssen, um den Forderungen der iranischen Frauen Gehör zu verschaffen.
derStandard.at: Welche Verbesserungen könnte es in den nächsten Jahren für die Frauen geben?
Mohammadi: Das ist schwierig. Die Macht im Iran ist wie gesagt fragmentiert. So hat zum Beispiel Präsident Ahmadinedschad vor einigen Jahren den Frauen offiziell erlaubt, zu Fußballspielen ins Stadion zu gehen. Aber die religiösen Führer haben das nicht für gut befunden. Also wurde es doch nicht erlaubt.
Nach der Islamischen Revolution verloren die Frauen viele Rechte. Wir haben nicht einmal das Recht, unsere Kleidung selbst auszusuchen. Nach der Revolution sind viele Frauen auf die Straße gegangen und haben gegen den Schah gekämpft. Diese starken, gebildeten Frauen wollte man aber in der Islamischen Republik nicht. Deswegen wurden zahlreiche Programme gestartet, um die Frauen in ihre vier Wände zurückzudrängen. Dies passiert auf höchst subtile Weise. So gab es zum Beispiel ein Angebot von Präsident Ahmadinedschad an die iranischen Frauen, da sie die Hauptlast der Kinderbetreuung trügen, sollte ihre Arbeitszeit von den üblich 48 Stunden auf 36 Stunden reduziert werden, bei gleicher Entlohnung. Die Frauen waren einverstanden, schließlich klingt es verlockend, weniger arbeiten zu müssen, noch dazu für dieselbe Bezahlung. Allerdings laufen Verträge im Iran für drei und sechs Monate bzw. maximal ein Jahr, das heißt natürlich, dass die Verträge der Frauen nicht verlängert werden. Außerdem wurden öffentliche Kindergärten geschlossen. Privatkindergärten kann sich kaum jemand leisten.
Bis heute gibt es immer wieder fürchterliche Ideen von staatlicher Seite zum Thema Frauen. Eine neue Abscheulichkeit ist zum Beispiel, eine Initiative die Frauen ermutigt zwischen 16 und 18 zu heiraten. Hintergrund ist, dass etwa 65 Prozent an den Universitäten Frauen sind. Die wollen aber nicht mit "ungebildeten" Männern verheiratet sein und finden deshalb keine Männer. Damit soll das "besser" werden.
derStandard.at: Haben Sie jemals darüber nachgedacht, den Iran zu verlassen?
Mohammadi: Nein, niemals. Viele meiner Freunde sind weggegangen. Und wenn ich sie besuche, sagen sie: "Bleib hier". Aber ich will nicht. Ich liebe dieses Land und es gibt noch so viel, wofür wir hier einstehen können.
derStandard.at: Haben Sie nach ihrer Rückkehr von dieser Reise nach Wien Repressalien zu befürchten?
Mohammadi: Die habe ich immer zu befürchten. Aufgrund meiner Arbeit wird mir immer wieder vorgeworfen für "ausländische Journalisten" zu arbeiten. Aber das ist mir egal.
derStandard.at: Sie wurden bereits etliche Male wegen Ihres Einsatzes für Menschenrechte inhaftiert?
Mohammadi: Ja. Das letzte Mal im vergangenen Jahr nach einer Demonstration. Die Polizei schlug uns und verhaftete uns.
derStandard.at: Warum machen Sie trotzdem weiter?
Mohammadi: Vielleicht liegen die Wurzeln dafür schon in meiner Kindheit. Seit ich denken kann, sehe ich, was sie den Frauen antun. Ich hatte nie die Rechte, die meine Brüder hatten. Ich habe zum Beispiel als Kind immer mit den Jungen in meiner Straße gespielt. Mit neun Jahren müssen sich die Mädchen im Iran verschleiern. Und plötzlich war alles anders. Damals hasste ich es, ein Mädchen zu sein. Irgendwann muss man sich gegen all diese Ungerechtigkeiten wehren. Sie haben mich zur Person gemacht, die ich bin. Aber ich bin optimistisch und ich denke, dass wir irgendwann etwas ändern können.
derStandard.at: Ein international bekannter Fall zum Thema Sharia ist die geplante Steinigung von Sakineh Mohammadi Ashtiani. Ist der Druck der internationalen Gemeinschaft der einzige Grund, warum diese Steinigung noch nicht exekutiert wurde?
Mohammadi: Ja, definitiv. Vor meiner Verhaftung 2009 habe ich für die BBC gearbeitet. "Von dir reden alle," sagte man mir bei meiner Befragung. Und ich verstand. Wenn die Leute dich kennen, können sie dir nichts antun. Zu mir waren sie freundlich, haben mich nicht geschlagen. Gleichzeitig wurde eine Freundin von mir im Gefängnis gefoltert. Nicht physisch, aber psychisch. "Weiße Folter" nennt man das.
Was den Fall Sakineh Ashtiani betrifft: das ist ein Spiel der Regierung. Wenn alle auf diesen Fall schauen, schaut niemand mehr auf die zahlreichen politischen Gefangenen.
derStandard.at: Tatsächlich werden die Berichte über die Verhafteten der "Grünen Bewegung", die im Umfeld der Wahlen entstand, immer weniger und weniger.
Mohammadi: Leider hat die Internationale Gemeinschaft die Menschenrechte im Iran vergessen. Es wird immer nur über das Nuklearprogramm gesprochen. Aber es ist für uns, die wir im Iran für eine Verbesserung der Situation von Frauen kämpfen, schön und wichtig zu wissen, dass es auch in Europa Menschen gibt, die ihre Solidarität zeigen, aber letztendlich ist es der Kampf der Iranerinnen und Iraner, den uns niemand abnehmen kann. (derStandard.at, 16.12.2010)
Link zum Film: We Are Half of Iran's Population
Situation der Frauen im Iran: Mit der Implementierung der Verfassung von 1979, die die gesamte Staatsordnung islamischen Normen unterwarf, wurden Änderungen bezüglich der Rechte der Frauen fest verankert. Frauen sind dem Mann in der Familie untergeordnet, brauchen die Genehmigung des Mannes, wenn sie arbeiten, reisen oder sich fortbilden wollen. Sie haben kein Recht auf Scheidung, während Männer erlaubt wird, "Zeitehen" einzugehen. Auch im iranischen Erbrecht sind Frauen benachteiligt. Die Zeugenaussage einer Frau ist weniger wert, nach einer erzwungenen Scheidung haben sie kein Recht auf Obsorge der Kinder. Frauen, die sich für die Verbesserung ihrer Situation im Iran einsetzen, sind Einschüchterungsmaßnahmen des Regimes ausgesetzt.
 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.