Archiv für Juni 2014

UN: Iran soll Hinrichtung von junger Frau aussetzen

26.06.14-DieWelt- Zwangsverheiratete Frau tötete 17-jährig ihren Mann- Die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay hat Teheran aufgefordert, die "bevorstehende" Hinrichtung einer jungen Iranerin wegen Ermordung ihres Mannes auszusetzen. In einer Erklärung protestierte Pillay gegen den "unannehmbaren Einsatz der Todesstrafe gegen minderjährige Kriminelle im Iran". Nach UN-Angaben warten dort 160 von ihnen auf ihre Hinrichtung.

In Pillays Erklärung heißt es, die Hinrichtung Minderjähriger sei durch das Völkerrecht – "unabhängig von den Umständen des Verbrechens" – eindeutig verboten. Es verstoße auch gegen entsprechende internationale Verpflichtungen, die der Iran unterzeichnet habe. Im April sei in Isfahan ein weiterer minderjähriger Delinquent wegen Drogenvergehen gehenkt worden. Der 17-jährige Afghane namens Jannat Mir habe weder einen Anwalt gehabt noch Unterstützung vom Konsulat seines Landes bekommen.
2013 wurden der UNO zufolge im Iran mindestens 500 Menschen hingerichtet, größtenteils wegen Rauschgiftkriminalität.
afp.com

Junger Frau im Iran droht die Hinrichtung

20. Juni 2014-RP Online- Teheran. Razieh Ebrahimi war 14 Jahre alt, als sie im Iran zwangsverheiratet wurde. Ein Jahr später wurde sie Mutter. Jetzt droht ihr die Hinrichtung, weil sie ihren Ehemann erschossen hat – im Alter von 17 Jahren. Die Organisation Human Rights Watch protestiert dagegen, weil die Hinrichtung gegen internationales Recht verstoße. Von Dana Schülbe

Razieh Ebrahmi ist jetzt 21 Jahre, ihr Kind sechs Jahre alt. Verhaftet wurde das Mädchen, das in der lokalen Presse auch unter dem Namen "Maryam" bekannt sei, laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vor vier Jahren. Sie hatte ihren Ehemann in den Kopf geschossen, während er schlief. Anschließend vergrub sie ihn im Garten des Hauses.
Laut dem britischen "Guardian" soll sie der Polizei das Verschwinden ihres Mannes gemeldet haben, aber ihr eigener Vater habe den Leichnam im Garten entdeckt und sie der Polizei übergeben. Ein Gericht verurteilte die damals 17-Jährige. Obwohl sie Reue zeigte, droht ihr nun die Hinrichtung. Ebrahimi gab laut Human Rights Watch vor Gericht an, dass sie nach Jahren physischer und psychischer Misshandlung durchgedreht sei.
"Ich habe unserern Nachbarssohn geheiratet, als ich 14 Jahre alt war, und mein Vater darauf bestanden hat", soll das Mädchen in einem Verhör laut der halboffiziellen Nachrichtenagentur Mehr gesagt haben, wie der "Guardian" schreibt. "Mein Vater bestand darauf, dass ich ihn heirate, weil er gebildet war und als Lehrer arbeitete. Ich war 15, als mein Kind geboren wurde." Und dann fügte sie hinzu: "Ich wusste nicht, wer ich bin und was Leben bedeutet. Mein Ehemann misshandelte mich. Er nutzte jeden Vorwand, um mich zu beleidigen und hat mich auch körperlich angegriffen."
Die Menschenrechtsorganisation protestiert gegen die Hinrichtung, fordert, den Fall neu aufzurollen. Denn der Iran habe ein internationales Abkommen unterzeichnet, dass die Hinrichtung von Minderjährigen verbietet. Doch bislang scheint es keine Hoffnung für die junge Frau zu geben. Denn auch die Möglichkeit, dass die Familie ihres Ehemannes ihr verzeiht und sie damit begnadigt, wurde bereits von der Familie abgelehnt.
Offiziell bestreite der Iran Hinrichtungen von Minderjährigen, aber laut Human Rights Watch seien seit 2009 zehn Minderjährige hingerichtet worden. Damit sei der Iran das Land mit der höchsten Zahl mit Hinrichtungen dieser Art.
Auch Shadi Sadr, eine iranische Anwältin, sagte dem "Guardian", dass der Fall Ebrahimi nicht der einzige dieser Art im Iran sei. So sei erst im März die 28-jährige Farzaneh Moradi für den Mord an ihrem Ehemann hingerichtet worden. Sie war 15 Jahre alt, als sie verheiratet wurde, mit 16 wurde sie Mutter, mit 20 ermordete sie ihren Gatten. Frasuen wie Farzaneh oder Ebrahimi, so die Anwältin werden immer wieder unter dem Deckmantel der Ehe vergewaltigt, erleben oftmals ein Leben voller Gewalt und bekommen keinerlei Unterstützung. "Am Ende dieses Kreislaufes töten sie sich entweder selbst oder ihren Ehemann."
 

Iranische Filmemacherin erneut in Haft

7. Juni 2014, Der Standard- Frauenrechtlerin Mahnaz Mohammadi wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt Die iranische Frauenrechtlerin und Regisseurin Mahnaz Mohammadi ist seit Samstag im berüchtigten Gefängnis Evin in Haft. Mohammadi wurde wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" von oberster Instanz zu einer Gefängnisstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Der Führungswechsel im Iran hatte Hoffnung im Umkreis Mohammadis genährt, dass das Urteil letztinstanzlich noch aufgehoben werden würde.

Mohammadis Filme ("Travelogue", "Women without Shadows") wurden auf internationalen Filmfestivals gezeigt. Bei der Filmvorführung 2011 in Cannes von "Ephemeral Marriage", in dem sie die Hauptrolle spielte, konnte Mohammadi nicht anwesend sein, da ihr Pass vom iranischen Regime konfisziert worden war.
Sorge um Gesundheit
Es ist nicht zum ersten Mal, dass Mohammadi aufgrund ihrer politischen und künstlerischen Aktivitäten verhaftet wurde. Zuletzt passierte dies 2011. Nach ihrer Freilassung aufgrund von internationalem Druck blieb Mahnaz Mohammadi unter staatlicher Beobachtung durch den Geheimdienst, ihr Pass wurde vom Gericht einbehalten und das 2009 verhängte Berufsverbot blieb weiterhin aufrecht. Ihre Gesundheit ist seit ihrer letzten Inhaftierung weiterhin stark angeschlagen. Auch jetzt wird befürchtet, dass ihr im Gefängnis die medizinische Behandlung verweigert wird. (red, derStandard.at, 7.6.2014)


Free Mahnaz Mohammadi


Standard-Interview mit Mohammadi:  "Repressalien habe ich immer zu befürchten. Das ist mir egal"

Menschenrechtsfrage wird Teil der öffentlichen Diplomatie

dpa/Abedin Taherkenareh – 03-06-2014 – In seinem jüngsten Bericht vom März verweist der Sonderberichterstatter darauf, dass Iran eigentlich die notwendigen Instrumente besitze, seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Menschenrechtsschutz nachzukommen. So habe Teheran sowohl den Internationalen Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte als auch den Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte unterzeichnet.

Beiden Pakten war Iran allerdings bereits im Jahr 1975 beigetreten, also noch unter dem Schah, der für seine negative Menschenrechtsbilanz ebenfalls kritisiert worden war.
Menschenrechtsdialog findet auf Augenhöhe statt
Seitdem hat sich die Menschenrechtspolitik in den letzten 40 Jahren jedoch erheblich weiter entwickelt und ausdifferenziert. Insbesondere ein Instrument wie der Menschenrechtsdialog bietet heute die Chance, die Gefahr doppelter Standards zu minimieren, d.h. Menschenrechte nicht umso stärker zu thematisieren, je angespannter das Verhältnis zu einem Land ist. Der Menschenrechtsdialog findet, anders als die Sanktionspolitik, stärker auf Augenhöhe statt und hat das Potential, die Beziehungen zwischen beiden Seiten zu stärken.
Diesen Vorteil hat auch der Iran realisiert und entsprechende Dialoge in den vergangenen 20 Jahren nicht nur multilateral mit der EU, sondern auch bilateral mit verschiedenen Ländern wie Deutschland, Japan und der Schweiz entwickelt. Durch diese Dialoge wurde die iranische Menschenrechtsfrage auf offizieller Ebene immer stärker aus dem Bereich der stillen Diplomatie in den Bereich der öffentlichen Diplomatie geholt. Doch hat sich durch diese Menschenrechtsdialoge wirklich etwas zum Positiven verändert? Diese Frage ist – angesichts der heutigen Menschenrechtslage im Iran – schwer zu beantworten.
Atom-Abkommen stärkt die moderaten Kräfte
Selbst bei einem öffentlich sichtbaren diplomatischen Instrument wie dem Menschenrechtsdialog sind Erfolge und Misserfolge kaum objektiv messbar. In den seltensten Fällen, etwa bei besonders prominenten Dissidenten, wird die Freilassung eines politischen Gefangenen in einen unmittelbaren Zusammenhang mit einem Menschenrechtsinstrument der öffentlichen oder stillen Diplomatie gebracht werden können. Gleichwohl sollte dieses Instrument auch in den europäisch-iranischen und deutsch-iranischen Beziehungen wieder etabliert werden.
Wenn in der Atomfrage ein Abkommen mit dem Iran abgeschlossen werden wird, dann spricht vieles dafür, dass dies die moderaten Kräfte im Iran stärken wird. In dieser Situation wäre ein neuer Menschenrechtsdialog der richtige Schritt, um auch in der Menschenrechtsfrage eine Verbesserung der Beziehungen mit dem Iran für die Verbesserung der Lage der Menschen im Iran zu nutzen.
Über den Experten

Dr. Oliver Ernst arbeitet als Nahost-Referent der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Seit 2010 organisiert der über die deutsche Menschenrechtspolitik gegenüber der Türkei promovierte Politikwissenschaftler in Weimar den kulturell-politischen deutsch-iranischen Hafis-Dialog. Zuletzt publizierte Ernst den Iran-Reader 2014.

Iran: 25 Jahre nach dem Tod Khomeinis

Deutschlandfunk -03-06-2014 –  Von Reinhard Baumgarten:  Ayatollah Ruhollah Musavi Khomeini war ein Leben lang Oppositioneller, mit 76 gelang ihm der Umsturz: Ein breites Bündnis unter seiner Führung entriss Schah Reza Pahlevi die Macht in Persien. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft erfüllte sich für viele im Iran allerdings nicht.

Iran Ende der 70er Jahre. Ein Land im Umbruch. Ein Volk in Aufruhr gegen einen autokratischen Herrscher. Schah Mohammed Reza Pahlevi will den Iran zur modernen Führungsmacht im Nahen Osten machen. Einsam trifft der Monarch Entscheidungen. Wer widerspricht, wird verdammt, verfolgt, verurteilt. Die Unterdrückung wird zum Nährboden einer wachsenden Liebe des iranischen Volkes – der Freiheitsliebe. Ende 1978 ist der Iran reif für die Revolution. Liberale, Linke, Bürgerliche, Konservative – alle hat der Schah mithilfe seines brutalen Geheimdienstes Savak gegen sich aufgebracht.
"Ob wir es mögen oder nicht, die Kleriker haben die Revolution angeführt. An der Spitze der Kleriker war ein 76-jähriger Ayatollah."
Sadegh Zibakalam ist heute Politikwissenschaftler an der Universität Teheran. Damals saß er im berüchtigten Evin-Gefängnis. Er war jung, gläubig, radikal. Er wurde erniedrigt und gefoltert. Denn er glaubte an eine gerechte Ordnung auf der Grundlage islamischer Normen. Und er glaubte an den 76-jährigen Ayatollah.
"Die Menschen haben den Schah abgelehnt, weil sie Pressefreiheit wollten und die Herrschaft der Gesetze. Sie wollten Gleichheit zwischen Mann und Frau, Rechenschaftspflicht, freie Wahlen, eine freie Presse. Sie wollten die Gefängnisse einreißen. Sie wollten ein Land ohne politische Gefangene und mit Meinungsfreiheit. Das waren die Gründe für die Revolution."

Jahrzehnte in der Opposition
Ruhollah Musavi Khomeini wird 1902 in der Kleinstadt Khomein als Sohn eines Klerikers geboren. Mit 16 beginnt er eine Ausbildung zum Geistlichen. Mit 34 wird er Ayatollah. Früh schon geht Khomeini auf Konfrontationskurs zum herrschenden Schah-Regime, dem er jegliche Legitimität abspricht. Er will einen islamischen Staat nach seinen Vorstellungen, nach seinem religiösen Verständnis. 1963 ruft er in der Predigerstadt Ghom zum Aufstand auf. Khomeini wird verhaftet, zum Tode verurteilt, begnadigt und in die Türkei abgeschoben. Von dort darf er in die irakische Stadt Nadschaf gehen und wieder als Geistlicher wirken. Von dort opponiert er weiter gegen die Herrschaft in Teheran.

1978 erzwingt der Schah die Abschiebung Khomeinis nach Frankreich und ermöglicht ihm damit den Kontakt zur Weltpresse. Der Ayatollah wird binnen Monaten zur Leitfigur der revolutionären Bewegung im Iran.
"Ayatollah Khomeini war praktisch der Führer der gesamten Opposition. Er war ein nationaler Führer: für die Religiösen, für die Marxisten, die von seinen antiimperialistischen Einstellungen angezogen wurden, für Säkulare und Liberale, wegen seiner antidiktatorischen Haltung gegen den Schah."
Khomeini sei sehr ehrlich gewesen, er habe seine Ansichten nie verschleiert, urteilt Shahla Lahiji.

Die 72-Jährige gründet 1985 als erste Verlegerin Irans den renommierten Roshangarān-Verlag, den sie bis heute leitet.
"Er hat in seinen Büchern immer deutlich geschrieben, woran er glaubte. Es waren unsere Intellektuellen, die es nicht wahrhaben wollten. Sie bildeten sich ein, die Geistlichkeit werde von ihren Zielen abrücken, das moderne Justizwesen abschaffen und die Frauenrechte einschränken. Khomeini hatte aber in all seinen Reden genau darauf immer wieder hingewiesen."

Ayatollah Khomeini gibt kurz nach seiner Rückkehr in den Iran 1979 in Teheran eine Pressekonferenz. (AP Archiv)Am 1. Februar 1979 hebt um 1.15 Uhr in Paris eine Boeing 747 Richtung Teheran ab. An Bord sind Ayatollah Khomeini, 50 Vertraute des Geistlichen sowie 150 Journalisten der Weltpresse.

Für den Iran mit seiner mehr als 2.500-jährigen Kultur beginnt mit der Landung Khomeinis in Teheran eine neue Zeit, eine neue Ordnung, eine neue Geschichte.

Wohin wird Khomeini das Land führen, und was wird aus der ersehnten Freiheit, fragen sich unzählige Iraner an jenem 1. Februar 1979.

 

Eine erste Antwort gibt der 76-jährige Ayatollah wenige Stunden nach seiner Landung. Auf dem Friedhof Beheshte Zahra im Süden Teherans greift er die letzte noch vom Schah ernannte Regierung an.
"Ich schlage dieser Regierung ins Gesicht.

 

Ich bestimme, wer regiert. Mit der Unterstützung des Volkes bestimme ich, wer die Regierung bildet. Mit der Zustimmung des Volkes bestimme ich!"
Nach dieser Rede hält sich Regierungschef Shapour Bahtiar nur noch wenige Tage. Khomeini beauftragt Mehdi Bāzargān mit den Regierungsgeschäften. Kurz darauf bringt die neue Führung des Landes die erste Verhaftungswelle ins Rollen. Führende Militärs, Geheimdienstler und Politiker werden festgenommen und hingerichtet. Viele Verhaftungen und Hinrichtungen von tatsächlichen und vermeintlichen Gegnern der am 1. April 1979 ausgerufenen Islamischen Republik Iran werden folgen.
Neue Herrschaft
Kritik an der rigiden Regierungspolitik wird nicht nur im Ausland laut. Hunderttausende Frauen gehen Anfang März '79 auf die Straße, um für gleiche Rechte und gegen den Kopftuchzwang zu protestieren. Shahla Lahiji war dabei.
"Am 8. März – also kurz nach der Revolution – als die Frauen demonstrierten, wurde die Parole gegen sie ausgegeben "Yā rusari yā tusari – Kopftuch oder Kopfnuss".

Die Linken haben sich damals komplett rausgehalten. Irgendwie sympathisierten sie mit den Fanatikern auf der Straße, oder sie weigerten sich eben, die Frauen zu unterstützen. Das führte zur Niederschlagung der Frauenbewegung."
Die neuen Herrscher unter der Führung von Ayatollah Khomeini sichern sich Schritt für Schritt die Macht. Der anhaltende Streit, die bittere Konkurrenz und grassierende Missgunst unter den nicht-klerikalen Anti-Schah-Gruppen kommt ihnen dabei entscheidend zu Hilfe.

Die Geistlichen um ihren Führer Khomeini hingegen sind sich weitgehend einig und übernehmen die Kontrolle im allmächtigen Revolutionsrat. Mittels der neugegründeten Islamisch-Republikanischen Partei setzt Khomeini gegen den erbitterten Widerstand von Teilen der schiitischen Geistlichkeit das Regierungsprinzip des Velāyate Faqih durch – der Statthalterschaft des Rechtsgelehrten.

Dieses von Ayatollah Khomeini ausformulierte Prinzip schreibt die absolute Führerschaft der islamischen Geistlichkeit in Fragen des Militärs, der Justiz, der Gesetzgebung, der Regierung und der Medien vor. Erster Mann im Staate mit nahezu uneingeschränkter Macht wird Ayatollah Khomeini. Am 4. November '79 – neun Monate nach dem Umsturz – gibt es ein Ereignis, das über Jahrzehnte die ideologische und politischen Ausrichtung der Islamischen Republik bestimmen wird: den systematisch gepflegten Anti-Amerikanismus. An diesem 4. November stürmen gut 400 radikale Studenten die US-Botschaft in Teheran und nehmen mehrere Dutzend US-Diplomaten in Geiselhaft. Sie wird 444 Tage dauern.

Die Revolution sei an diesem Tag gekapert worden, urteilt der Politikwissenschaftler Sadegh Zibakalam.

Die Werte der Revolution seien ersetzt worden durch einen radikalen Anti-Amerikanismus.
"Davor hat jeder von Meinungsfreiheit gesprochen, von Freiheit der Ideen. Aber nachdem das gekapert worden war, sprach jeder darüber, wie unterdrückte Menschen auf der ganzen Welt vertei¬digt werden könnten, wie wir die Revolution exportieren sollen und den Weltkapitalismus herausfordern können."
Seit 1953 gibt es im Iran einen Groll auf die USA. Damals inszenierten US-Agenten einen Staatsstreich gegen den demokratisch gewählten Regierungschef Mohammed Mossadegh. Washington verhilft Schah Mohammed Reza Pahlavi zurück an die Macht.

Der Iran wird zum engsten Verbündeten der USA. Zehntausende amerikanischer Techniker, Militär- und Sicherheitsberater helfen dem Iran, zur stärksten Regionalmacht im Nahen Osten zu werden. Und, so der Vorwurf vieler Menschen, die damals gegen den Schah sind, sie helfen dem Regime bei der Unterdrückung des iranischen Volkes.

Die Erstürmung der US-Botschaft kommt deshalb nicht überraschend.
"Wir wissen genau, dass Ayatollah Khomeini das nicht ins Werk gesetzt hat. Das war eine Strömung, die um einiges stärker war als Ayatollah Khomeini.

Weniger als ein Monat nach der Revolution sagte er, ich möchte nach Ghom gehen. Regierungschef Bazargan und Außenminister Yazdi waren dagegen. Alle waren dagegen. Nicht weil sie Ayatollah Khomeini liebten und ihn in Teheran haben wollten, sondern weil es Organisationen, Gruppen und Personen gab, die der Zentralregierung nicht gehorchen würden."
Der Antiamerikanismus schweißt zusammen
Khomeini kehrt nach gut drei Monaten von Ghom in die Hauptstadt zurück. Der Iran droht damals in einen offenen Bürgerkrieg abzugleiten. Linke Aktivisten und Freischärler versuchen in vielen Teilen des Landes, das Volk gegen die Herrschenden aufzubringen. Separatisten in Kurdistan, Belutschistan und Khuzistan begehren gegen die Zentralregierung auf.

Täglich ereignen sich Scharmützel, Bombenanschläge und Überfälle. Der Sturm auf die US-Botschaft bietet dem Revolutionsführer die Gelegenheit, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
"Als er in die antiamerikanische Richtung ging, folgten ihm der Klerus, die Studenten, all seine Anhänger. Das ganze Land wurde auf den Kopf gestellt und wurde antiamerikanisch."
Es gibt eine neue Verhaftungswelle, Hinrichtungen, Säuberungen. Die Revolution nimmt einen unvorhergesehenen Verlauf.

Auch Ayatollah Khomeini wird von der Dynamik der Entwicklung überrascht. Der von der iranischen Führung nach der Botschaftsbesetzung mit Verve vertretene Anti-Amerikanismus wird zum identitätsstiftenden Faktor.
"Irgendwie wurde Anti-Amerikanismus, Anti-West, Anti-Europa usw. zur wichtigsten Leitidee der islamischen Revolution. Wenn du nichts über die iranische Vergangenheit gewusst hättest und wenn du erst nach der Besetzung der amerikanischen Botschaft gekommen wärst, dann hättest du geglaubt, die Iraner hätten sich gegen den Schah erhoben wegen des Anti-Amerikanismus. Du hättest nicht geglaubt, dass diese Leute gegen den Schah rebelliert haben, weil das Schah-Regime ein Polizei-Staat war."

Antiamerikanismus hielt das Land zusammen – heute gibt es, vor allem für die Jugend, wichtigere Themen. (picture alliance / dpa / epa Taherkenareh)
Antiamerikanismus hielt das Land zusammen - heute gibt es, vor allem für die Jugend, wichtigere Themen. (picture alliance / dpa / epa Taherkenareh)Teheran hofft, durch die massive Konfrontationspolitik gegenüber Washington bei den Bevölkerungen der arabischen Nachbarstaaten zu punkten und mit der eigenen Revolution die Blaupause für Erhebungen in anderen muslimischen Staaten geliefert zu haben.
"Die iranischen Führer brauchen den Anti-Amerikanismus, um für sich selbst eine historische Verpflichtung und Legitimität zu schaffen. Das nenne ich Hijacking."
Der anti-amerikanische Furor hat sich in weiten Teilen der iranischen Bevölkerung im Laufe der vergangenen 35 Jahre deutlich beruhigt.

Marg bar Āmrika – Tod für Amerika – ist nur noch selten zu hören.

Zu eng sind die Kontakte und verwandtschaftlichen Verbindungen zwischen Teilen der iranischen Bevölkerung und den USA.

Rund drei Millionen Menschen iranischer Herkunft haben nach der Revolution ihr Land in Richtung USA verlassen. Für die Führung des Landes ist die Feindschaft mit dem Shaitāne bozorg – dem Großen Satan – aber nach wie vor wichtig.
"Feind USA"
Das Volk müsse den taktlosen Äußerungen amerikanischer Politiker gut zuhören und sie genau beobachten, beschwört Ayatollah Ali Khamenei. Er ist vor 25 Jahren zum Nachfolger von Ayatollah Khomeini gewählt worden.
"Das Volk muss den Feind erkennen. Manche wollen das Volk von der Feindseligkeit dieses Feindes ablenken. Nein, schaut genau hin. Dann seht ihr den Feind und seine Doppelzüngigkeit."
Derlei Worte spielten heute gerade für junge Iraner eine immer geringere Rolle, urteilt der Politikwissenschaftler Sadegh Zibakalam.

Er war ein Aktivist der ersten Stunde. Er hat einmal an die hehren Ziele der Revolution von 1979 geglaubt.
"Ich habe drei Töchter. Die zwei jüngsten fragen mich immer: Papa, was hast du dir gedacht, als ihr damals diese Revolution gemacht habt? Sie sagen nicht, unsere Revolution, sie sagen, eure Revolution. Mit anderen Worten, meine Töchter sagen, sorry, aber wir sind nicht Teil dieser Revolution, die ihr vor 35 Jahren gemacht habt. So ist das mehr oder weniger in jeder Familie."
Braindrain und Drogen
Viele iranischen Studenten, Künstler, Wissenschaftler und Ingenieure träumen davon, in den USA oder in Europa lernen, leben und arbeiten zu können. Der 21-jährige Ārash studiert in Teheran Maschinenbau.
"Für mein Aufbaustudium möchte ich ins Ausland gehen, wo's kulturell und sozial besser ist als hier im Iran – die Art und Weise, wie die Leute denken, die Qualität der Universitäten und auch der Wohlstand sind wichtig. Das vermissen wir hier im Iran."
Die Islamische Republik Iran hat eine der höchsten Akademiker-Raten aller Länder im Nahen Osten. Gleichzeitig hat der Iran laut einer Studie des Internationalen Währungsfonds IWF die höchste Abwanderungsrate gut ausgebildeter junger Menschen unter 91 als Entwicklungsländer geführten Staaten. Der sogenannte Braindrain – oder Wissensabfluss – ist zu einem ernsthaften Problem für die iranische Gesellschaft und Wirtschaft geworden. Reza Faraji Dana, Minister für Forschung und Technologie, nannte kürzlich die Zahl von jährlich 150.000 gut ausgebildeten jungen Iranern, die ihrem Heimatland den Rücken kehren.

Als einer der Hauptgründe für die anhaltende Auswanderung gut ausgebildeter Iraner nennt die IWF-Studie die hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Leuten. Sie liegt inoffiziellen Zahlen zufolge bei rund 25 Prozent. Tendenz steigend. Iran 35 Jahre nach der Revolution, 25 Jahre nach dem Tod von Revolutionsführer Ayatollah Khomeini – wohin steuert das Land, was ist aus dem Nachlass Khomeinis geworden? Misswirtschaft, internationale Sanktionen, Korruption, Vetternwirtschaft sowie die Abwanderung von Wissen und Kapital haben das Land in eine schwere Wirtschaftskrise geführt. Die Inflation liegt bei gut 40 Prozent; die Arbeitslosigkeit steigt; das Geld verliert rasch an Kaufkraft; die wirtschaftliche Produktivität sinkt. Gleichzeitig nehmen die sozialen Probleme des Landes zu. Präsident Rohani, seit August vergangenen Jahres im Amt, warnt:
"In unserer heutigen Gesellschaft sind die sozialen Probleme die eigentlichen Gefahren: von Armut über Prostitution bis hin zum allgemeinen Misstrauen in der Gesellschaft und der Korruption in der Wirtschaft."
Offiziellen Statistiken zufolge wurden 2011 rund 500 Tonnen Drogen beschlagnahmt, gab es mehr als 4.000 Drogentote, wurden 26.000 Menschen wegen Drogendelikten festgenommen und etwa 300 hingerichtet. Offiziell ist die Rede von rund zwei Millionen Drogenabhängigen. Inoffiziell sprechen Experten von bis zu acht Millionen Drogenkonsumenten im Iran.

Der neue Präsident spricht von Mäßigung und Versöhnung, von gesellschaftlichem Ausgleich und wirtschaftlichem Aufschwung. Viele Taten konnte der 65-jährige Geistliche bislang seinen Worten nicht folgen lassen. Zu groß ist der Widerstand etablierter einflussreicher Gruppen, die große Vorteile aus der derzeitigen isolierten Lage Irans ziehen.

Bei seinem Amtseid wandte sich Hassan Rohani Hilfe suchend an seinen Schöpfer, damit er nicht wie andere Präsidenten vor ihm am Widerstand ewig gestriger Krisengewinnler scheitert.