Einsicht der Regierung trotz Verbots

17 September, 2017– ORF – Wer im Iran Alkohol trinkt, muss mit schwerwiegenden Strafen rechnen. Da Alkoholkonsum in dem streng muslimischen Land verboten ist, drohen dem „Täter“ Geldbußen oder Peitschenhiebe – als Wiederholungstat sogar die Todesstrafe. Trotzdem steigt die Zahl der Alkoholiker. Informelle Selbsthilfegruppen machen deshalb Druck auf die Regierung, das gesellschaftliche Problem in den Griff zu bekommen – und das scheint Wirkung zu zeigen. Vorsichtig öffnet sich der Iran hin zu staatlichen Therapiezentren für Alkoholkranke.

atistiken zeigen, dass mindestens zehn Prozent der Iraner trotz des Verbots regelmäßig Alkohol konsumieren – und das, obwohl bei einem Vergehen mit hartem Urteil zu rechnen ist, berichtete kürzlich die „New York Times“. 

Zu möglichen Strafen zählen Auspeitschungen, Geldbußen, Freiheitsentzug und sogar die Todesstrafe, wenn es sich um eine Wiederholungstat handelt. Dennoch gehört für viele, vor allem in der oberen Mittelschicht, das Trinken zum Alltag. Iranische Medien hatten, ohne allerdings Zahlen zu nennen, berichtet, dass der Konsum sogar jenen von Russland oder Deutschland übersteige.

Schmuggel aus dem Irak

In größeren Städten wie Teheran gebe es viele illegale Bars, so die „NYT“. Iraner treffen sich gerne auf Dachterrassen und trinken Rotwein, Wodka oder Aragh Sagi, ein im Iran beliebtes Getränk, das aus 65 Prozent purem Ethanol besteht. Für gewöhnlich wird es ganz einfach zu Hause produziert – wobei nicht nur der Konsum, sondern auch die Herstellung des Destillats gesetzwidrig ist.

udem hat auch der Irak den Bedarf an Alkohol im Nachbarland für sich entdeckt. Literweise Bier, Wein und Spirituosen gelangen täglich über die Grenze. Am Ende der Lieferantenkette stehen dann die „Dealer“ im Iran, die einfach von Privatpersonen per Anruf erreicht werden können. Über ein ausgeklügeltes Verteilungsnetzwerk könnten so, laut „NYT“, Millionen Menschen mit Alkohol versorgt werden.

Bedarf an Selbsthilfegruppen steigt

Parallel dazu entwickelten sich unzählige Selbsthilfegruppen im Untergrund, vergleichbar mit den „Anonymen Alkoholikern“. Zu Beginn wurden sie von der Regierung nur toleriert, doch vor zwei Jahren hatte das Gesundheitsministerium den Bedarf an Therapien für Alkoholkranke erstmals bewusst wahrgenommen. Seither eröffneten unzählige Privatkliniken, aber auch kommunale Beratungsstellen für Betroffene. „Dutzende in Teheran alleine und Tausende im ganzen Land“, berichtete Resa Kondschedi, Leiter einer Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker im Interview mit der „NYT“.

Die Hilfe privater Initiativen sei enorm gefragt, da die Regierung sehe, wie effektiv ihre Arbeit ist. „Heutzutage ist so viel Alkohol verfügbar, dass es einfach nicht mehr funktioniert, jeden zu bestrafen“, so Kondschedi, „Trinken und Schmuggeln wurden vor Gericht gleich schwer gewertet, die Leute wurden ausgepeitscht. Mittlerweile sieht die Regierung Alkoholiker nicht mehr als Kriminelle, sondern als Patienten, die eine Behandlung brauchen.“

Widerspruch der Behörden

Außerdem präsentierte die Regierung sogar öffentliche Kampagnen, in denen die Iraner gewarnt werden, betrunken Auto zu fahren – vor ein paar Jahren schien das noch undenkbar. Wie in der „NYT“ berichtet, wurden neben den Straßen in Richtung beliebter Urlaubsziele am Kaspischen Meer Plakatwände aufgestellt, die Whiskeyflaschen im Zusammenhang mit Autounfällen abbilden.

Im Widerspruch dazu organisiert die iranische Polizei regelmäßig Medienveranstaltungen als Abschreckungsmanöver: Dabei werden zum Beispiel Bulldozer gezeigt, die Tausende Flaschen und Dosen plattwalzen, zur Warnung vor harten Strafen bei Alkoholkonsum.

Still befohlen und von Lokalbehörden ausgeführt

Präsident Hassan Rouhani, der 2013 ins Amt kam und dieses Jahr wiedergewählt wurde, ist für seinen moderateren Führungsstil bekannt. Doch auch wenn die Maßnahme, mehr Suchtkliniken zu etablieren, vom Gesundheitsministerium kam, ist es trotzdem kein Leichtes, sich den strengen Regeln des Islam zu widersetzen. Laut „NYT“ zeigt diese Entscheidung aber sehr gut, wie viele gesellschaftliche Änderungen im Iran geschehen: still von oben befohlen und von Lokalbehörden ausgeführt.

Denn eine Bescheinigung für lokale Behörden, Therapiezentren für Alkoholkranke offiziell führen zu dürfen, gibt es nach wie vor nicht. Sogar für Drogensüchtige gebe es legale Hilfe, so Kondschedi. Schuld daran sei die Religion: Der Koran erwähne das Böse im Wein, habe aber nichts zu Drogen zu sagen. „Im Islam halten manche Alkohol für gefährlicher als Drogen“, sagt Kondschedi, „und das, obwohl die Gesellschaft Drogen viel schlimmer findet.“

Alkoholverbot seit 1979

Ob das Tolerieren von Selbsthilfegruppen und medizinischen Einrichtungen das Verbot in naher Zukunft rückgängig machen werden, ist fraglich. Das Trinken von Alkohol ist seit der Islamischen Revolution 1979 tabu und für strenggläubig Muslime per Gesetz untersagt. Trotzdem sterben Dutzende Iraner jedes Jahr an Alkoholvergiftungen durch den Konsum von minderwertig gebranntem Schnaps. Im Jahr 2013 waren es laut „NYT“ 135.

Ein strenges Alkoholverbot konnte sich in der gesamten islamischen Welt allerdings nie wirklich durchsetzen. Schon während der Zeit des Osmanischen Reichs wechselten sich Phasen strikter Prohibition mit pragmatischen Sichtweise ab. Nur in wenigen Ländern ist das Verbot so streng, dass alkoholische Getränke ausschließlich illegal erworben werden können. Hierzu zählen Saudi-Arabien, Kuwait, Mauretanien, der Sudan und der Iran.

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