Festgenommene Fans im Iran »Ich bin wütend auf die FIFA«

Bild: Human Rights Watch

04.03.2018- 11 FREUNDE – Im Iran ist es Frauen verboten, ein Fußballstadion zu besuchen. Weil sie dagegen demonstrierten, wurden 35 Frauen festgenommen. Vor den Augen von Gianni Infantino und Winnie Schäfer. Interview mit einer Zeugin.

Sara, Sie möchten anonym bleiben. Wieso?
Ich weiß nie, ab wann die Behörden reagieren. Deshalb bin ich vorsichtig, nenne nie meinen echten Namen und achte auf meine Wortwahl.

Sie sind Gründungsmitglied von »Open Stadiums«. Die Kampgane kämpft dafür, dass Frauen im Iran ins Stadion gehen dürfen.
Wir haben »Open Stadiums« vor zwölf Jahren ins Leben gerufen. Frauen dürfen im Iran keine Fußballspiele besuchen. Es heißt, die Atmosphäre wäre für Frauen unpassend. Die Regierung sagt, es widerspreche islamischem Recht, dass Frauen halbnackten Männern beim Sport zusehen. So hat die Hälfte der Bevölkerung keine Chance live dabei zu sein und Siege zu feiern. Wir kämpfen, dafür dass sich das ändert.

Wie am Donnerstag. Dabei wurden einige von Ihnen verhaftet. Was ist passiert?
In Teheran war Derby: Esteghlal gegen Persepolis. Die Blauen gegen die Roten. Die perfekte Gelegenheit, unser Anliegen aufzubringen, vor allem weil FIFA-Präsident Gianni Infantino vor Ort war. Er besuchte ein rein männliches Stadion. Das widerspricht völlig der Menschenrechts-Agenda, die er als FIFA-Präsident selbst verabschiedet hat.

Wie sah Ihr Protest aus?
Wir standen wie immer vorm Stadion. Um doch irgendwie hinein zu kommen, hatten sich einige Frauen als Männer verkleidet, mit falschen Bärten und allem was dazu gehört. Sie sahen sehr witzig aus. Dabei ist es eine Schande, dass wir im Iran nicht wir selbst sein dürfen, sobald wir ein Fußballspiel besuchen möchten.

Haben die verkleideten Frauen es geschafft hineinzukommen?
Einige schafften es durch die erste und zweite Kontrolle, dann wurden sie entdeckt.

Wie ging es weiter?
Wir wurden von Sicherheitsleuten weggeschickt. Als meine Freundinnen in das Taxi nach Hause steigen wollten wurden sie verhaftet. Insgesamt wurden an dem Abend 35 Frauen festgenommen, darunter eine 13-Jährige. Einige waren einfach in den Straßen um das Stadion unterwegs, sie hätten auch zufällig dort sein können.

Wird die Verhaftung für die Frauen Konsequenzen haben?
Die Polizei hat ihre Personalien aufgenommen. Wenn noch einmal etwas passiert, drohen ihnen wahrscheinlich Konsequenzen.

»Hat die FIFA ihre eigenen Statuten gelesen?«

FIFA-Chef Gianni Infantino hat gesagt, er wolle versuchen, den iranischen Präsidenten Rohani zu überzeugen, das Verbot aufzuheben.
Vor genau vier Jahren hat Infantinos Vorgänger Sepp Blatter öffentlich genau dasselbe erklärt. Die Regierung sagte damals, sie wolle die Stadien auf den weiblichen Besuch vorbereiten. Infantino hätte bei seinem Besuch fragen müssen, was seither geschehen ist: Nichts!

Mittlerweile hat der FIFA-Boss in einem offenen Brief seine Unterstützung für »Open Stadiums« ausgedrückt. 
Ich hoffe, der Druck zeigt Wirkung. Unsere Zeit ist gekommen!

Am Freitag fand die FIFA-Konferenz zu Gleichheit und Inklusion statt. 
Das macht mich wütend. Die FIFA wirbt mit etwas, was sie nicht einhält. Haben sie überhaupt ihre eigenen Statuten gelesen? Sie sprechen von Diversity und Gleichberechtigung, aber wenn es an der Zeit ist, das umzusetzen, vergessen sie es! Wenn wir uns über unseren iranischen Fußballverband beschweren wollen, müssen wir uns an die FIFA wenden. Aber wenn nicht einmal die FIFA ihre eigenen Regeln einhält, bei wem sollen wir uns dann beschweren?

Das letzte Derby zwische Esteghlal und Persepolis, das Frauen live miterleben durften fand 1981 statt. 
Bevor ich überhaupt geboren wurde.

Waren Sie überhaupt schon einmal im Stadion?
Wenn es im Iran internationale Spiel gibt, dürfen die Frauen des gegnerischen Teams ins Stadion. Sie dürfen – wir nicht! Bei einem Spiel gegen Südkorea versuchten wir vor der südkoreanischen Botschaft weibliche Fans auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. Da sagten die iranischen Betreuer plötzlich, sie könnten versuchen, uns zusammen mit den Koreanerinnen ins Stadion zu schmuggeln. Und wir sind tatsächlich reingekommen. Ich war bis dahin noch nie in einem Stadion gewesen. Ein einzigartiger, unglaublicher Moment. Einfach großartig!

Womit wird das Verbot begründet?
Zu dieser Zeit sagte man, es verstoße gegen islamische Gesetze als Frau ein Stadion zu besuchen, weil man Teile nackter Männerkörper sehen könnte. Das ist so dumm. Nachdem ich im Stadion war, wurde mir klar, dass man da gar nichts erkennen kann: Es ist viel zu weit weg! Das ist lächerlich! (lacht)

Was löst der Stadionbesuch bei Ihnen aus?
Die Atmosphäre: Ich bin glücklich. Für iranische Frauen gibt es nicht viele Orte, an denen wir unsere Energie rauslassen und einfach Spaß haben können. Das Stadion bietet für uns eine seltene Chance.

»Wir dachten, Winnie Schäfer kann nichts«

Haben Sie noch andere Fußballspiele gesehen?
Im Juni 2005 ist etwas Besonderes passiert: Vor dem letzten Qualifikationsspiel für die WM in Deutschland hatten Feministen, Aktivisten und Fußballfans für das Recht der Frauen demonstriert, das Spiel Iran gegen Bahrain zu sehen. Wir standen vor den Toren des Azadi-Stadions in Teheran als sie 30 Minuten nach Anpfiff begannen, Frauen hereinzulassen.

Damals ist auch ihre Kampagne entstanden.
Genau, ich war noch sehr jung, eher Fußballfan als Frauenrechts-Aktivistin, aber wir haben uns zusammengefunden und »Open Stadiums« gegründet. Frauen und Fußball war damals ein Tabu. Wenn wir mit Feministinnen sprachen, fragten sie uns: Haben wir nicht größere Probleme? Es hat sieben Jahre gedauert bis die Leute verstanden, dass es unser Recht ist, jeden öffentlichen Platz zu betreten, auch ein Fußballstadion.

Bekommen Sie Unterstützung von andern Fans? 
Viele männliche Fans im Iran sind unserer Meinung. Eine Fangruppe hat vor dem Derby geschrieben, dass es gar kein gutes Spiel werden kann, wenn die eine Hälfte Irans nicht zusehen darf.

Was macht »Open Stadiums«, wenn sie nicht vor den Stadien stehen?
Unsere Gruppe wird im Kern von fünf Frauen organsiert. Der Protest vor den Stadien ist das Wenigste was wir tun können, denn wir laufen immer Gefahr festgenommen zu werden. Wir verfassen Statements, schreiben Briefe an Verantwortliche und sind auf Social-Media aktiv: Wir wollen Aufmerksamkeit. Und es funktioniert: Das Problem ist zur gesellschaftlichen Debatte geworden.

Haben Sie Hoffnung, dass sich in Zukunft etwas ändert? 
Ich kann es mir nicht vorstellen, aber die Hoffnung verliere ich nicht: In den sozialen Medien sind sich alle einig, dass Frauen ins Stadion gehören. Das ist doch ein großartiger Erfolg. Aber die FIFA muss aktiv werden!

Sie haben gesagt, als Sie »Open Stadiums« gegründet haben, waren Sie eher Fußballfan als Aktivistin. Ist es heute andersherum?
Seit zwölf Jahren kämpfe ich, deshalb bin ich Aktivistin, aber den Fußball und den Sport trage ich im Herzen.

Ihr Lieblingsverein…
sind die Blauen: Esteghlal. Wir haben das Derby gewonnen!

Das freut Sie sicher.
Nein, weil ich an meine festgenommenen Freundinnen denken musste. Auch sie sind große Fans und konnten das Derby nicht sehen.

Ihr Team wird von einem Deutschen trainiert: Winnie Schäfer.
(lacht, reckt den Daumen nach oben) Als er zu uns kam dachten wir: »Oh nein! Der ist viel zu alt und kann nichts.« Aber er hat einen super Job gemacht. Wir standen in der Tabelle sehr schlecht da, mittlerweile sind wir Dritter. Und wir haben gegen die Roten gewonnen, deshalb bin ich sehr glücklich mit ihm.

»Open Stadiums« ist auf Twitter 
Human Rights Watch unterstützt die Frauen mit der Kampagne »Watch4Women«

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