Führende Politiker der amerikanischen Regierung unterstützen die iranischen Volksmujahedin als demokratische Alternative für Iran. Kritiker sehen dies als gefährlichen Irrweg.
14.1.2019, NZZ – Die Geschichte der iranischen Volksmujahedin ist blutig, turbulent und tragisch, ihre Methoden umstritten, ihre Ideologie voller Widersprüche. Keine iranische Oppositionsgruppe polarisiert wie sie, keine hat so viele Kritiker, aber auch keine so prominente Unterstützer. Schon lange verfügen die Volksmujahedin über mächtige Fürsprecher im Westen, doch seitdem sie mit Sicherheitsberater John Bolton, Aussenminister Mike Pompeo und dem Trump-Anwalt Rudy Giuliani gleich drei Sympathisanten im Weissen Haus haben, stellt sich die Frage neu, welche Rolle sie in Washingtons Iranpolitik spielen. Und ob sie wirklich der richtige Verbündete sind.
«Die Mullahs müssen weg, der Ayatollah muss weg und durch eine demokratische Regierung von Maryam Rajavi ersetzt werden», rief Giuliani im vergangenen Juni bei der Jahresversammlung der Volksmujahedin in Paris. In der ersten Reihe sass dabei lächelnd im grünen Kopftuch Maryam Rajavi, die seit Jahrzehnten die Gruppe führt und sich als «gewählte Präsidentin» anreden lässt. «Das Verhalten und die Ziele des Regimes [in Teheran] werden sich nicht ändern, und daher ist die einzige Lösung, das Regime selbst zu ändern», donnerte Bolton ein Jahr zuvor in Paris.
Links-islamistische Ideologie
Offiziell verfolgt Präsident Donald Trump mit seiner Sanktionspolitik gegen Iran das Ziel, Teheran durch «maximalen Druck» zu Zugeständnissen bei seinem Atomprogramm, zur Aufgabe seines Raketenprogramms und zum Rückzug aus Syrien, dem Irak und aus Jemen zu zwingen. Bei Falken wie Bolton und Pompeo besteht allerdings der Verdacht, dass es ihnen in Wahrheit nicht um einen Politik-, sondern um einen Regimewechsel geht. Und dass sie den Volksmujahedin eine zentrale Rolle zugedacht haben, um das Regime in Teheran zu stürzen.
Gegründet wurden die Mujahedin-e Khalq (MEK) 1965 von Studenten der Universität Teheran als Stadtguerilla, um das autoritäre Schahregime zu bekämpfen. Beeinflusst vom Marxismus und von einer revolutionären Interpretation des schiitischen Islams, entwickelten sie eine eigenwillige links-islamistische Ideologie. Zwar wurden die Gründer rasch festgenommen und hingerichtet, doch unter der Führung von Massud Rajavi setzte die Gruppe ihren bewaffneten Kampf fort und spielte in der Revolution 1979 eine wichtige Rolle zur Mobilisierung der Massen.
Nach dem Sturz des Schahs unterstützten die MEK zunächst das Regime von Ayatollah Khomeiny, doch als 1980 der linke Präsident Abolhassan Banisadr den MEK-Führer Rajavi zum Premierminister ernennen wollte, kam es zum Clash. Massenproteste der Volksmujahedin wurden blutig niedergeschlagen, und die Gruppe musste in den Untergrund gehen, während Rajavi und Banisadr nach Frankreich flohen. In den folgenden Monaten töteten die MEK bei Anschlägen Dutzende von Mitgliedern der politischen Elite, während das Regime Tausende ihrer Anhänger hinrichten liess.
«Die Volksmujahedin haben unglaublich viel Leid erfahren, aber auch viel Schaden angerichtet», sagt der deutsche Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour. Er rät dringend davon ab, die Gruppe zu unterstützen, da es «riesige Fragezeichen zu ihrer Ideologie, ihrer Struktur und ihrer Legitimität» gebe und sie wegen ihrer Vergangenheit kaum mehr Rückhalt in Iran habe. «Wer die Volksmujahedin unterstützt, verspielt viel Akzeptanz bei der demokratischen Opposition in Iran, da sich dort noch viele an ihre Anschläge und ihre Unterstützung für Saddam Hussein erinnern.»
«Viel Leid erfahren, viel Schaden angerichtet»
Der irakische Diktator hatte den MEK seine Hilfe angeboten, als Rajavi und seine Anhänger 1986 Frankreich verlassen mussten. Saddam Hussein überliess ihnen mehrere Lager an der iranischen Grenze, rüstete sie mit Panzern aus und schickte sie an die Front gegen Iran. Als Teheran und Bagdad 1988 eine Waffenruhe vereinbarten, lancierten die Volksmujahedin einen letzten Angriff in der Hoffnung, einen Volksaufstand in Iran auszulösen. Doch die Offensive geriet zur Katastrophe, und zur Vergeltung liess Khomeiny Tausende gefangene MEK-Anhänger hinrichten.
Wegen ihrer Rolle im Iran-Irak-Krieg sei die Gruppe bei Iranern heute «verhasster als al-Kaida und der IS», sagt der Iran-Experte Adnan Tabatabai. Die Gruppe nutze seit 1981 den wohlklingenden Namen Nationaler Widerstandsrat (NWRI), doch sei der Rat vollständig von den MEK dominiert. Zwar hätten die MEK sich nach ihrer Flucht nach Frankreich Demokratie, Freiheit und Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben, doch sei das vor allem Rhetorik. «Es ist fatal, zu glauben, dass eine solche Gruppe den politischen Prozess in Iran positiv beeinflussen könne», sagt Tabatabai.
Unterstützer der Gruppe sehen das natürlich anders. Der frühere französische Aussenminister Bernard Kouchner nannte die MEK 2014 in Paris wegen ihres Bekenntnisses zur Trennung von Politik und Religion ein «Beispiel für den gesamten Nahen Osten». Bei der MEK-Versammlung im Juni bezeichnete der ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich sie als «Bewegung für Freiheit, gleiche Rechte und Demokratie». Und der einstige italienische Aussenminister Giulio Terzi sieht sie als «glaubwürdigste demokratische Alternative» und als «natürlichen Verbündeten» des Westens.
Tatsache ist, dass die MEK mit Tausenden engagierten Anhängern die aktivste iranische Oppositionsgruppe sind und in jahrzehntelanger Lobbyarbeit in den westlichen Parlamenten Hunderte Unterstützer gewonnen haben. Tatsache ist aber auch, dass die Gruppe unter Exiliranern höchst umstritten ist. Vielen erscheint ihr Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten unglaubwürdig, nachdem sie sich mit Saddam Hussein verbündet hat. Und auch der ausgeprägte Führerkult um die Rajavis lässt viele an ihrer demokratischen Gesinnung zweifeln.
Als sich die MEK nach der gescheiterten Offensive 1988 in ihr Lager Ashraf im Irak zurückzogen, verordnete Massud Rajavi eine «ideologische Revolution», in deren Zuge sich alle Mitglieder zur Ehelosigkeit verpflichteten. Während die Kinder zu MEK-Familien nach Europa geschickt wurden, liessen sich die Paare scheiden, um sich ganz dem Kampf widmen zu können. Alle Liebe sollte allein Massud und seiner Frau Maryam Rajavi gelten, die 1993 zur Präsidentin gewählt wurde und seit dem Verschwinden ihres Mannes 2003 die Gruppe alleine führt.
Lager in Albanien
Laut dem Historiker Ervand Abrahamian und anderen Kritikern wandelten sich die MEK seit der «ideologischen Revolution» immer mehr zur politischen Sekte. Aussteiger berichten, dass sie in öffentlichen Sitzungen ihre sexuellen Träume und Gedanken gestehen mussten. In den Lagern habe strikte Geschlechtertrennung geherrscht, Freundschaften oder persönliche Gespräche seien verboten gewesen, die Nutzung von Radio, Zeitung und Fernsehen auch. Human Rights Watch dokumentierte 2005 zudem in einem Bericht, wie Aussteiger massiv unter Druck gesetzt und teilweise jahrelang inhaftiert und gefoltert wurden.
Die MEK weisen diese Vorwürfe bis heute kategorisch zurück und bezeichnen Kritiker als iranische Agenten. Auch westliche Medien, die kritisch über die MEK berichten, werden als Handlanger Teherans diffamiert. Statt auf kritische Fragen zur eigenen Vergangenheit einzugehen, stellen sich die MEK als Opfer einer Lügenkampagne dar und werfen Kritikern vor, die brutale Verfolgung durch den iranischen Geheimdienst zu unterstützen, der erst kürzlich Anschläge auf die MEK-Versammlung in Paris und das MEK-Lager in Albanien geplant habe.
Die Volksmujahedin waren in das Camp nordwestlich von Tiranagezogen, da ihre Lage im Irak untragbar geworden war. Nach der amerikanischen Invasion des Iraks 2003 war die damals von den USA noch als Terrororganisation gelistete Gruppe festgesetzt und entwaffnet worden, so dass sie den bewaffneten Widerstand aufgeben musste. In den folgenden Jahren kam ihr Lager immer wieder unter Beschuss durch proiranische Milizen, bis die letzten 3000 MEK-Kämpfer 2013 endlich auf Vermittlung der USA nach Albanien verlegt werden konnten.
Laut Medienberichten hat sich an dem sektenartigen Charakter der MEK in Albanien wenig geändert, und auch Videos von MEK-Anhängerinnen in gleichfarbigen Kopftüchern, die rhythmisch klatschend Parolen skandieren, deuten nicht auf einen Wandel hin. Laut einem Bericht von al-Jazeera betreibt die Gruppe aus dem Lager etliche Fake-Konten auf Twitter, um den Diskurs zu Iran zu beeinflussen. So würden MEK-Trolle Videos von Protesten in Iran verbreiten und Verteidiger einer moderaten Politik gegenüber Teheran attackieren.
Der CDU-Abgeordnete Martin Patzelt, der im Oktober mit einer Delegation unter Leitung der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth das Lager besuchte, findet es nur legitim, dass die MEK ihre Ideen über das Internet zu verbreiten versuchen. Er versichert, dass alle Einwohner freiwillig in dem Camp seien. «Das Lager in Albanien ist wie ein Kibbuz», sagt Patzelt. «Die Menschen leben dort wie in einem Orden nach Geschlechtern getrennt und mit strengen Arbeitszeiten. Es gibt aber keinen Zwang, und sie können jederzeit das Lager verlassen.»
«Andauernder Personenkult»
Die Bundesregierung sieht allerdings Hinweise, dass die MEK Kontakte ihrer Mitglieder nach aussen zu unterbinden versuchen. In ihrer Antwort auf eine Anfrage der Grünen im September bezeichnete sie die Volksmujahedin als «autoritär geführte» Oppositionsgruppe, die seit ihrer Gründung «die Anwendung von Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele» betrachte. Der «autoritäre Charakter» und der «andauernde Personenkult» um Maryam Rajavi würden Grund zu Zweifeln an ihrer Hinwendung zu Demokratie und Menschenrechten geben.
Für den FDP-Bundestagsabgeordneten Bijan Djir-Sarai ist es «ein Irrweg, wenn sich Politiker im Westen für eine Gruppe einsetzen, die in Iran keinen Rückhalt hat». Die Unterstützung für die Volksmujahedin in Deutschland sei ihm «ein Rätsel», und es rege ihn «wahnsinnig auf», wenn sich deutsche Politiker ohne volle Kenntnis der Hintergründe für solche Gruppen im Ausland engagierten. «Ein Einsatz für die Volksmujahedin ist reine Dummheit. Ich würde allen Unterstützern dringend raten, sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen», sagt Djir-Sarai.
Neben Ignoranz gibt es womöglich noch einen anderen Grund für die Unterstützung der MEK: Zwar bestreitet die Gruppe Geldzahlungen, doch laut Berichten von «The Washington Post», «The Intercept» und anderen Medien haben Politiker wie Giuliani für Auftritte bis zu 50 000 Dollar erhalten. «Die MEK versuchen so ziemlich jeden zu kaufen», sagte der frühere Anti-Terror-Koordinator der USA, Daniel Benjamin, der «New York Times». «Es ist schon etwas, wenn dir jemand am Telefon 15 000 bis 20 000 Dollar für die Teilnahme an einer Podiumsdiskussion anbietet. Das passiert früheren Diplomaten nicht jeden Tag.»
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