Iran schlägt die Proteste nieder

Der Zorn der Protestierenden richtet sich auch gegen Banken, wie diese ausgebrannte Filiale in Shahriar belegt. (Bild: Abedin Taherkenareh / EPA)

In mehr als hundert Städten gingen Iraner gegen die wachsende Not auf die Strasse. Der Sicherheitsapparat hat die Proteste erstickt. Doch der Unmut über das Regime wächst.

Inga Rogg 25.11.2019- nzz.ch -Die Iraner sind frustriert. Wie gross die Frustration ist, bekam die Regierung Mitte des Monats zu spüren. In mehr als hundert Städten landauf, landab gingen Zehntausende auf die Strasse. Ähnlich wie vor zwei Jahren entzündeten sich die Proteste an wirtschaftlichen Fragen, richteten sich dann aber vermehrt gegen das politische System generell.

Konkret ging es um die Streichung von Subventionen. Staatspräsident Hassan Rohani hatte angekündigt, die Subventionierung von Benzin zu reduzieren, und damit den Preis um 50 Prozent erhöht. Autofahrern stehen jetzt monatlich nur noch 60 Liter Benzin zum Preis von 15 000 Rial (etwa 34 Rappen) pro Liter zu. Für jeden weiteren Liter müssen sie den Marktpreis von umgerechnet rund 68 Rappen pro Liter bezahlen.

Mehr als hundert Tote

Proteste sind in der vierzigjährigen Geschichte der Islamischen Republik nichts Neues. Die grösste Rebellion gegen das Regime gab es vor zehn Jahren, als Hunderttausende gegen den offenkundigen Wahlbetrug des damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad protestierten. Anders als bei der «grünen Bewegung» oder den Demonstrationen vor zwei Jahren entluden sich die Proteste diesmal in Gewalt. In zahlreichen Städten setzten die Demonstranten Banken, öffentliche Gebäude und Tankstellen in Brand.

Hatte das Regime die Demonstranten vor zwei Jahren zunächst noch gewähren lassen, ging es diesmal von Beginn an mit aller Härte gegen sie vor. Dazu gehörte auch die fast vollständige Abschaltung des Internets. Die wenigen Videos, die Aktivisten trotzdem online stellen konnten, zeigten Bilder von Verwüstungen und Sicherheitskräften, die auch vor dem Einsatz von scharfer Munition gegen unbewaffnete Kritiker nicht zurückschrecken.

Nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderten die Proteste mindestens 106 Tote. Teheran hat dem widersprochen und die Angaben als «Spekulation» abgetan. Dabei ist die Opferzahl möglicherweise sogar noch höher. Allein in den kurdischen Gebieten im Westen des Landes kamen nach Angaben des Kurdistan Human Rights Network mindestens 31 Personen ums Leben. Kurdische Städte wie Meriwan, Sanandaj oder Kermanshah gehörten neben der mehrheitlich arabischen Stadt Ahvaz zu den Zentren der Protestwelle. Die Regionen der beiden Minderheiten werden traditionell benachteiligt; in Kermanshah sind viele wütend darüber, dass die Schäden eines schweren Erdbebens vor zwei Jahren immer noch nicht behoben sind.

Tausende von Festnahmen

Nach eigenen Angaben nahmen die Sicherheitskräfte um die hundert Personen fest, die sie als «Rädelsführer» bezeichneten. Die tatsächliche Zahl der Festnahmen geht nach Angaben von Menschenrechtlern jedoch in die Tausende. Laut dem Center for Human Rights in Iran wurden mindestens 2755 Personen festgenommen. Die wirkliche Mindestzahl liege aber eher bei 4000, so die Organisation.

Mittlerweile hat das Regime die Proteste weitgehend erstickt. Ab Donnerstag haben die Behörden auch den Internetzugang wieder schrittweise ermöglicht. Die Tageszeitung «Keyhan», die als Sprachrohr von Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei gilt, forderte in einem Beitrag jedoch, die Festgenommenen hinzurichten. Teheran macht für die Protestwelle eine ausländische Verschwörung verantwortlich, vor allem die Amerikaner. Dabei ging der stellvertretende Kommandant der gefürchteten Revolutionswächter so weit, sie mit einer berüchtigten Schlacht während des Kriegs mit dem Nachbarland Irak zu vergleichen. Das ist ein Hinweis auf die Bunkermentalität, die in Teheran herrscht.

Faktisch hatten die Demonstranten gegen den übermächtigen Sicherheitsapparat keine Chance. Zudem fehlte es ihnen an einer politischen Führung. Die Reformer wurden entweder mundtot gemacht, oder sie gingen wie schon früher auf Abstand. Dazu kommt, dass das bestehende System durchaus Rückhalt in der Bevölkerung hat. In mehreren Städten gingen Tausende von Regimeanhängern auf die Strasse. Obwohl solche Loyalitätsbekundungen staatlich organisiert sind, sind es keine reinen Propagandaveranstaltungen. Es gibt viele Iraner, die aus tiefer Übersetzung hinter den Herrschenden stehen. Und in der Mittelschicht und unter den Gebildeten fürchten wiederum nicht wenige das Chaos, das ausbrechen könnte, sollte das jetzige Regime gestürzt werden.

Für Proteste braucht es kein Internet

Irgendwann könnte freilich der Punkt erreicht sein, an dem es der Polizei und den Milizen nicht mehr gelingt, die Proteste mit roher Gewalt niederzuwalzen. Denn Iran sieht sich gleich an mehreren Fronten mit ernstzunehmenden Krisen konfrontiert. Dabei ist die Wirtschaftskrise, die Washington mit dem Rückzug aus dem Atomabkommen und der Verhängung von Sanktionen verursacht hat, nur eine. In wiederkehrenden Wellen kämpft das Land mit Dürren. Der in den letzten Jahren von den Revolutionswächtern betriebene expansive Kurs stösst zusehends an seine Grenzen. Im Irak, wo Iran mit seinen verbündeten Milizen und Politikern ein wichtiger Machtfaktor ist, richtet sich der Unmut der Demonstranten, die seit Wochen auf die Strasse gehen, zumindest teilweise auch gegen das Nachbarland. Die Angst, dass die sich Iraner von den Protesten im Irak und in Libanon inspirieren lassen, war ein weiterer Grund für das kompromisslose Vorgehen des Staatsapparats.

Iran blick indes auf eine lange Tradition von Revolten und Umstürzen zurück, die durch Wirtschaftskrisen oder wirtschaftspolitische Entscheidungen ausgelöst wurden. Das war auch im Vorfeld der islamischen Revolution von 1979 so. Mit jeder Protestwelle in den letzten Jahren nahm derweil die Wut – und die Gewaltbereitschaft – der Demonstranten zu. Gelingt es den Herrschenden nicht, auf den schwelenden Unmut eine Antwort zu finden, wird ihnen auch eine Internetsperre nichts nützen. Sie selbst müssten am besten wissen, dass es kein Internet und keine Messenger-Dienste braucht, um bestehende Verhältnisse ins Wanken zu bringen.

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