Wie Iran ein Milliardenreich aufbaut

17.11.2013  – Cash – Im Namen des geistlichen Oberhaupts Ajatollah Ali Chamenei wird systematisch das Eigentum iranischer Bürger beschlagnahmt. Betroffen sind vor allem religiöse Minderheiten, Geschäftsleute oder Exil-Iraner.

Einst gehörte der Familie von Pari Vahdat-e-Hagh ein mehrstöckiges Wohnhaus in Teheran. Dort lebte sie mit ihren Kindern. Bis eines Tages Vertreter einer Organisation namens Setad an der Tür standen und Anspruch auf das Haus erhoben. Aller Widerstand war zwecklos. Heute lebt die 82-Jährige Iranerin alleine in einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung in Europa. Die Dokumente, mit denen die Behörden einen Schlussstrich unter ihr Leben in Teheran zogen, hebt sie in einem Koffer in der Nähe ihres Betts auf.
Hinter Setad verbirgt sich – das ergab eine sechsmonatige Recherche der Nachrichtenagentur Reuters – ein Firmenimperium, das über ein Vermögen von knapp 100 Milliarden Dollar verfügt und von Irans geistlichem Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei kontrolliert wird. Setad hat sich in den vergangenen sechs Jahren zu einer der mächtigsten Organisationen im Iran entwickelt. Sie mischt in fast allen Bereichen der Wirtschaft mit: von der Ölindustrie über Banken bis hin zu Straussenfarmen. Das Imperium fusst nicht zuletzt auf der systematischen Beschlagnahmung des Eigentums iranischer Bürger – seien es religiöse Minderheiten, Geschäftsleute oder Exil-Iraner.
Im Namen Chameneis
Setad ist zu einem massgeblichen Pfeiler in Chameneis Machtgefüge geworden. Die Organisation versorgt ihn mit den finanziellen Mitteln, die es ihm erlauben, unabhängig vom Parlament und dem Staatshaushalt zu operieren, wobei es keine Hinweise gibt, dass er sich persönlich bereichert hat. Im Zentrum des Milliardenreichs steht das riesige Immobilien-Portfolio. 2008 sagte der Leiter dieser Sparte während einer Festveranstaltung, dass allein dieses Geschäft etwa 52 Milliarden Dollar wert sei.
Die Organisation hat ein Monopol zur Beschlagnahmung im Namen des obersten Anführers. Vor Gericht gibt sie üblicherweise an, die Gebäude seien verlassen gewesen. Um Enteignung geht es dabei nach Darstellung der Organisation nicht. Wenn eine Immobilie leer stehe oder ein Grundstück aufgegeben worden sei, dann müssten diese verwaltet werden, wurde der Leiter der Setad-Investmentsparte Ali Aschraf Afchami im April von einer Zeitung zitiert. Sobald ein Gericht festhalte, dass es keinen Eigentümer gebe, gehe die Immobilie in Setads Besitz über.
Iraner, die nach eigenen Angaben enteignet wurden, und Anwälte weisen diese Darstellung Setads zurück. Sie schilderten Reuters vielmehr von anderen Methoden. Demnach soll Setad unter falschen Angaben richterliche Erlasse zur Beschlagnahmung eingeholt werden. Anschliessend würden die eigentlichen Eigentümer unter Druck gesetzt, dass sie die Immobilien nur gegen eine hohe Gebühr zurückbekämen.
Für den iranischen Anwalt Ross K. Reghabi, der von Kalifornien aus mehrere Setad-Fälle begleitet, steht fest: Wer am Ende nicht mit leeren Händen dastehen wolle, müsse “die richtige Person” finden und Geld fliessen lassen. Entscheidend sei, was hinter den Kulissen passiere. Am Ende könnten sich solche Zahlungen auf 50 Prozent des Immobilienwerts belaufen.
«Was kann ich tun, wo soll ich hin?»
Erfahrungen dieser Art musste auch ein schiitischer Geschäftsmann machen, der im Ausland lebt und anonym bleiben will. Vor zwei Jahren habe er versucht, ein Stück Land im Besitz seiner Familie in der Nähe Teherans zu verkaufen. Die lokalen Behörden hätten ihm gesagt, er benötige zunächst einen Brief, der belege, dass Setad keine Einwände habe.
Bei Setad habe er dann zunächst einmal einen Sekretär mit mehreren Hundert Dollar bestechen müssen, um seine Akte ausfindig zu machen. Dann sei ihm gesagt worden, er müsse eine Gebühr zahlen, da Setad über Jahrzehnte hinweg Landbesetzer von dem Grundstück ferngehalten habe. Diese sei auf 50.000 Dollar festgesetzt worden, ein Gutachter ermittelte einen Grundstückswert von 90.000 Dollar.
Andere Iraner erzählten in Interviews, ihnen sei Gewalt angedroht worden, sollten sie ihre Grundstücke nicht sofort räumen. So soll sich eine ältere Frau vollkommen verzweifelt auf ihren Teppich gesetzt haben, als die Möbel aus ihrer Wohnung getragen wurden. Sie habe sich geweigert aufzustehen und gerufen, “Was kann ich tun, wo soll ich hin?” Daraufhin sei sie kurzerhand zusammen mit dem Teppich rausgetragen worden.
Religiöse Minderheiten werden diskriminiert
Auffällig ist, dass einige der Immobilien im Setad-Portfolio einst Angehörigen religiöser Minderheiten gehörten, darunter Anhänger des Bahaitum. Bahais werden im Iran diskriminiert. Auch Vahdat-e-Hagh gehört der Minderheit an.
Ihre Schicksalsreise fing 1981 an, erzählt sie. Damals nahm ihr Mann eine Stelle bei einer Firma an, die arbeitslose Bahais unterstützte. Im September desselben Jahres kam er ins Gefängnis, im Februar 1982 wurde er hingerichtet. Aus Protest schrieb sie Briefe an hochrangige Regierungsvertreter, darunter Chamenei, der damals Präsident war. 1985 wurde sie für drei Monate eingesperrt. Vahdat-e-Hagh setzte ihren Protest fort. Ein Gericht ordnete daraufhin die Beschlagnahmung von Wohnungen ihrer Familie in einem wohlhabenden Viertel im Norden Teherans an.
Vahdat-e-Haghs Kinder befanden sich zu diesem Zeitpunkt im Ausland. Das Gericht warf ihnen vor, dort das Bahaitum zu verbreiten. Zwei Stiftungen versuchten anschliessend Vahdat-e-Hagh dazu zu bringen, ihnen die Immobilien zu übertragen. Sie lehnte ab. Die Stiftungen zogen sich zurück.
Mit Schlägen gedroht
Doch dann, im November 1991, schaltete sich Setad ein. Ein weiteres Gericht ordnete die Beschlagnahmung von Grundstücken der Familie in Teheran und der südiranischen Stadt Schiras an. Setad-Vertreter kamen in Vahdat-e-Haghs Wohnung und drohten ihr mit Schlägen, sollte sie nicht ausziehen. “Ich sagte ihnen: ‘Ihr könnt kommen und mich töten’.”
Zwei Monate später beantragte Setad die Löschung der Namen von Vahdat-e-Haghs Kindern aus den Wohnungsbesitzurkunden. Schliesslich verkaufte Setad die vier Wohnungen ihrer Kinder und ihres verstorbenen Mannes. Im Herbst 1993 verliess Vahdat-e-Hagh stillschweigend den Iran, ihre Wohnung vermietete sie. Im November 1999 bot Setad Vahdat-e-Hagh erst an, ihre eigene Wohnung zu kaufen. Als sie das ablehnte, verlangte die Gruppe Miete, was Vahdat-e-Hagh ebenfalls zurückwies. Schliesslich verkaufte Setad auch diese Wohnung an jemand anderen.
Heute scheint das Gebäude weitgehend leer zu stehen. Geschäftsleute aus der Nachbarschaft sagen, es sei nicht klar, wer der Besitzer sei, womöglich stehe das Gebäude unter Kontrolle einer islamischen Organisation. Im Dachgeschoss, wo Vahdat-e-Hagh einst lebte, sind die meisten Scheiben kaputt.
(Reuters)

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