Blutige Unruhen im Iran : das Mullah-Regime Wackelt

Die Menschen im Iran zeigt immer offener ihren Unmut über steigende Preise. Die Regierung reagiert mit Härte – und gerät in die Kritik. 

Aus Wut über steigende Benzinpreise zündeten Demonstranten in der iranischen Stadt Shiraz Polizeiautos an. Foto: dpa Picture-Alliance / SalamPix/ABACA / picture alliance / abaca

22.12.2019 -Berliner  Morgenpost – Michael Backfisch       

Berlin.  Soha Mortezaei ist seit dem 18. November verschwunden. Sie war eine von mehreren Dutzend Studenten, die während eines Protests gegen höhere Benzinpreise an der Universität Teheran verhaftet wurden. Sie kam ins Gefängnis und hat weder Kontakt zu ihrem Anwalt noch zu ihrer Familie. Sicherheitskräfte hatten der Menschenrechtsaktivistin zuvor immer wieder damit gedroht, sie mit Elektroschocks zu foltern und sie in eine Irrenanstalt zu stecken.

Hunderte Festgenommene – darunter auch Kinder – wurden mit Lastwagen in die Stadt Karadsch 40 Kilometer westlich von Teheran gekarrt. Endstation: das Radscha’i-Schahr-Gefängnis. Sie trugen Handschellen und hatten die Augen verbunden. Jeden Tag wurden sie getreten, mit Fäusten und mit Stöcken geschlagen und ausgepeitscht.

Unruhen im Iran: Sicherheitskräfte schießen mit scharfer Munition

    

So steht es im Report der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, der am Montag veröffentlicht wurde. Mindestens 304 Menschen seien getötet und Tausende festgenommen worden. Die „New York Times“ berichtet von regelrechten Hinrichtungen. So hätten Revolutionsgarden in der Stadt Mahschahr im Südwesten des Landes 40 bis 100 Demonstranten – die meisten davon unbewaffnete junge Männer – eingekesselt und erschossen. Sie hatten in einem Sumpfgebiet Schutz gesucht.

            

            

Solche Nachrichten dringen nur scheibchenweise nach außen. Die staatlichen iranischen Medien sind zensiert und streng auf Linie. Auch das Internet hängt an der Kandare der Behörden. Ausländische Webseiten werden regelmäßig blockiert.

Erhöhung der Benzinpreise und Spritrationierung löst Protestwelle aus

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der iranische Präsident Hassan Ruhani bei der UN-Vollversammlung in New York im September.
Foto: dpa Picture-Alliance / Kay Nietfeld / picture alliance/dpa

Ausgelöst wurde die Gewaltwelle des Sicherheitsapparats durch den Widerstand gegen die drastisch gestiegenen Transportkosten. Mitte November hatte die Regierung von Präsident Hassan Rohani den mit Staatsgeldern niedrig gehaltenen Preis von Normalbenzin um 50 Prozent erhöht – von umgerechnet acht auf zwölf Cent.

    

Gleichzeitig wurde der Sprit rationiert: Ab 60 Liter pro Monat verdreifachte sich der Preis auf 24 Cent pro Liter. Insbesondere Geringverdiener in den Randbezirken von Teheran, die zu ihrem Arbeitsplatz pendeln müssen, können sich das nicht mehr leisten. Aber nicht nur dort war der Unmut groß.

    

Brutale Antwort des Mullah-Regimes

    

Nach Angaben von Beobachtern gingen in rund 100 Städten die Menschen auf die Straße. Die Wut schlug in Gewalt um. Autos wurden angezündet, die Fensterscheiben von Banken zertrümmert, die Zapfsäulen an Tankstellen demoliert. 

    

Die Antwort des Mullah-Regimes war brutal. Einheiten der Revolutionsgarden und Mitglieder der Bassidschi, einer paramilitärischen Miliz aus Freiwilligen, schossen mit scharfer Munition auf die Aufständischen. Tagelang wurde das Internet heruntergefahren, damit sich die Protestler nicht organisieren konnten. Es waren die blutigsten Unruhen seit der Islamischen Revolution 1979.

„Es gibt hier keine Sicherheit“

    

Bei dem 33-jährigen Navid (Name geändert) haben die Zusammenstöße der letzten Wochen tiefe Spuren hinterlassen. „Die Leute haben Angst zu reden. Selbst mein bester Freund vertraut mir nicht mehr – ich könnte ja morgen sein Feind sein“, sagt er. 

Der gelernte Architekt arbeitet im mittleren Management einer iranischen Organisation in Teheran, die einen engen Bezug zu Deutschland hat. Er lebt mit seiner Frau noch im Haus seines Schwiegervaters – eine eigene Mietwohnung kann er sich nicht leisten. „Es gibt hier keine Sicherheit, wir wissen nicht, was am nächsten Tag passiert“, klagt er.

    

Experte: Das Mullah-Regime kann kippen

    

Nach den tödlichen Massenprotesten der letzten Wochen sind viele Iraner frustriert. Doch gleichzeitig wächst der Zorn über die miserable wirtschaftliche Situation. Experten im Land rechnen damit, dass die nächste Entladung des Unmuts nur eine Frage der Zeit ist. „Das Mullah-Regime weiß, dass die Lage sehr ernst ist – und dass das System kippen kann“, räumt ein westlicher Diplomat in Teheran ein. 

    

Zumindest wackelt die seit 40 Jahren bestehende staatliche Konstruktion. Sie steht auf zwei Pfeilern: der Herrschaft der Ajatollahs und der der Revolutionsgarden. Letztere sind an maßgeblichen Staatsunternehmen beteiligt. Sie blockieren auch die zaghaftesten Reformversuche des vergleichsweise eher liberalen Präsidenten Rohani.

    

„Mit weiteren größeren Protesten muss man aufgrund der politischen Anspannung und der wirtschaftlichen Krise rechnen“, prognostiziert der Iran-Experte Adnan Tabatabai von der Bonner Denkfabrik Carpo. „Erfahrene Iraner sagen: Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist derart hoch, dass die Proteste jederzeit wieder hochkochen können“, unterstreicht die Chefin der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer in Teheran, Dagmar von Bohnstein.

    

US-Sanktionen setzten Iran extrem unter Druck

    

Insbesondere die Wirtschaftssanktionen der Amerikaner setzen den Iran extrem unter Druck. Präsident Donald Trump stieg im Mai 2018 aus dem internationalen Atomabkommen aus, weil er Teheran nukleare Ambitionen unterstellte und das Regime als „Terror-Unterstützer“ im Nahen Osten bestrafen wollte. 2017 exportierte das Land noch 2,5 Millionen Barrel pro Tag, was aufs Jahr gerechnet etwa 45 Milliarden Dollar in die Staatskassen spülte. 

    

Iran-Krise:  USA schicken mehr Truppen in den Nahen Osten

    

Derzeit werden die Ölausfuhren auf nur noch 400.000 Barrel pro Tag geschätzt. Lediglich China und Indien verbleiben als treue Abnehmer. Die öffentlichen Einnahmen betragen weniger als zehn Milliarden Dollar im Jahr. Daher sieht sich die Regierung gezwungen, die Subventionen zu kürzen – wie jüngst bei den Benzinpreisen.

    

Mit weiter sinkenden Öleinnahmen herrscht in den öffentlichen Schatullen aber noch mehr Ebbe. Ein Teufelskreis, der die Wahrscheinlichkeit von neuen Protesten erhöht. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds geht die iranische Wirtschaft im Haushaltsjahr 2019/20 um 9,5 Prozent in den Keller. 

    

Iranisches Regime kämpft ums Überleben

    

Für 2020/21 kalkuliert der IWF mit einem Nullwachstum. Die Preissteigerungsrate liegt derzeit bei 40 Prozent. Selbst Zukunftsbranchen wie die mehr als 5000 Start-up-Firmen im Iran leiden. Wird das Internet abgeschaltet wie während der jüngsten Proteste, entsteht der Wirtschaft ein Schaden von 61 Millionen Dollar am Tag.

    

    

Angesichts dieser düsteren Zahlen kämpft das iranische Regime ums Überleben. „Die Regierung versucht mit allen Mitteln, den Staatshaushalt unabhängig vom Ölverkauf zu machen. Deshalb kürzt sie Subventionen, plant neue Steuern für Wohlhabende und versucht verstärkt, Steuerhinterziehung zu bekämpfen“, erklärt Handelskammer-Chefin von Bohnstein. Zudem werde überlegt, Energie zu besteuern und die Zölle massiv zu erhöhen.

    

Für Navid heißt das: Nichts wie weg. „Ich will mit meiner Frau nach Deutschland“, meint er. Nach Feierabend nimmt er bereits Sprachunterricht. „Im Iran gibt es für uns keine Hoffnung.“

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