Die britisch-iranische Doppelstaatsbürgerin ist erst seit Sonntag frei. In wenigen Tagen beginnt im Iran der nächste Prozess gegen sie
10-März 2021, Der Standard – Frei, aber womöglich nur auf Abruf: Es sei schmerzhaft gewesen, erzählt der Ehemann von Nazanin Zaghari-Ratcliffe, der sechsjährigen Gabriella klarzumachen, dass ihre Mummy auch nach fünf Jahren nicht aus dem Iran heim, nach Großbritannien, kommen kann. Die britisch-iranische Doppelstaatsbürgerin hat ihre Haft von fünf Jahren – das letzte Corona-bedingt mit einer Fußfessel zu Hause bei ihren Eltern in Teheran – zwar abgesessen, seit Sonntag ist sie frei. Ihren Pass geben ihr die iranischen Behörden dennoch nicht zurück, am 14. März beginnt ein völlig neuer Prozess gegen sie.
Zaghari-Ratcliffe ist eine von vielen Doppelstaatsbürgern und -bürgerinnen, die im Iran mit hanebüchenen Vorwürfen wegen Spionage oder anderen Vergehen gegen die Staatssicherheit festgehalten werden. Auch zwei Austroiraner, Kamran Ghaderi und Massud Mossaheb, sind ja davon betroffen. Der Iran erkennt keine Doppelstaatsbürgerschaften an. Zaghari-Ratcliffe, die neun Monate in Isolationshaft verbringen musste, half es nicht einmal, dass die Frage ihrer Freilassung von London von einem Konsularfall zu einem Disput auf Regierungsebene erhoben wurde.
Verhängnisvoller Besuch
Die im Dezember 1978, also kurz vor der Islamischen Revolution, in Teheran geborene Nazanin lernte ihren Mann beim Studium in London kennen. Zu ihren Eltern fuhr sie regelmäßig zu Besuch, auch im März 2016, mit dem damals 22 Monate alten Kind. Zum Verhängnis wurde ihr, dass sie beim BBC World Service Trust und später bei Thomson Reuters arbeitete: Laut iranischer Justiz hielt sie Kurse für Journalisten, die gegen das iranische Regime hätten arbeiten sollen.
Zaghari-Ratcliffe bestreitet das, aber ein gedankenloser britischer Außenminister namens Boris Johnson schien die Geschichte 2017 zu bestätigen: Sie habe “ja nur Leute in Journalismus unterrichtet”. Wasser auf die Mühlen der Iraner.
Wie in anderen Fällen wird auch bei Zaghari-Ratcliffe gerätselt, was Teheran wirklich will: Oft steckt dahinter ein Versuch, anderswo inhaftierte Iraner freizupressen. Mit den Briten hat der Iran aber noch eine andere große Rechnung offen: London schuldet Teheran umgerechnet mehr als 450 Millionen Euro aus durch die Revolution 1979 geplatzten Waffengeschäften. Die Briten scheinen anzuerkennen, dass das Geld dem Iran gehört, brachten aber Iran-Sanktionen ins Spiel, um es nicht zurückzuzahlen. Angeblich gibt es da jetzt Bewegung – wobei jeder Zusammenhang mit dem Fall Nazanin bestritten wird. (Gudrun Harrer, 10.3.2021)
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