Was dürfen sie wissen?

28.8.2014, NZZ – Joseph Croitoru: Wie schon sein liberaler Vorgänger Khatami tut sich der derzeitige iranische Präsident schwer damit, selbst moderate Forderungen nach einer Lockerung der allgegenwärtigen staatlichen Zensur durchzusetzen. Diffamierung und Repression sind nach wie vor gebräuchliche Waffen in den Händen der Konservativen.

Mit der Wahl Hassan Rohanis zum Präsidenten schienen sich im vergangenen Sommer in Iran nach einer langen Phase der Stagnation die Koordinaten zu verschieben. Zumindest im reformorientierten Lager war zunächst etwas von jener Aufbruchstimmung zu spüren, wie sie einst zu Beginn der Amtszeit Mohammed Khatamis aufgekommen war. Man hoffte, dass Rohani mit seinem umfassenden Reformplan dort Erfolg haben würde, wo Khatami gescheitert war. Die Hoffnung rührte auch daher, dass der neue Staatspräsident, anders als sein früherer Amtsvorgänger, der Universitätsprofessor, seit Jahrzehnten zum engen Führungskern der Islamischen Republik gehört und bereits etliche Schlüsselpositionen innehatte.
Erste Schritte
Tatsächlich liess das neue Staatsoberhaupt schon im Dezember seinen für iranische Verhältnisse geradezu revolutionären Entwurf zu einer Menschenrechtscharta auf seiner Website veröffentlichen. Damit sollte eine öffentliche Diskussion angeregt werden, doch löste dieser Schritt gerade in den Kreisen, von denen er eigentlich hätte begrüsst werden sollen, vielmehr Kritik aus. Iranische Intellektuelle erinnerten daran, dass Iran längst mehreren Menschenrechtskonventionen beigetreten sei: Würde er die daraus resultierenden Verpflichtungen erfüllen, brauchte der iranische Staat auch keine eigene Charta der Menschenrechte. Nachdem das Thema im Sommer fast schon vergessen geschienen hatte, meldeten sich Mitte August iranische Frauenrechtlerinnen zu Wort. Sie monierten, dass die in der vorgeschlagenen Charta formulierten Rechte der Frau zwar relativ umfassend soziale Aspekte berücksichtigten, nicht aber die Rolle von Frauen in der Politik und bei gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen.
Weit mehr Aufmerksamkeit geniesst die Debatte um Medienfreiheit, die in Rohanis Charta explizit garantiert wird – wenn auch immer wieder mit dem einschränkenden Zusatz «den Gesetzen des Staates entsprechend». Der Präsident und einige Minister seines Kabinetts werben bereits seit einigen Monaten für einen freien Zugang zum Internet und zu sozialen Netzwerken. So wurde am Weltfernmeldetag (17. Mai) vom iranischen Kommunikationsministerium ein IT-Kongress veranstaltet, auf dem Rohani eine halbstündige Rede hielt, in der er unter Verweis auf die sich zunehmend globalisierende Welt für die Aufhebung von Schranken im Internet plädierte.
Noch am gleichen Tag traten in einem demonstrativen Akt sowohl der Präsident als auch sein Kommunikationsminister Mahmud Vaezi dem immer wieder zensierten iranischen sozialen Netzwerk cloob.com bei. Der dortige Auftritt Rohanis gewinnt seitdem stetig an Popularität. Mit jeder Woche kommen rund 10 000 Anhänger hinzu, Mitte August waren es schon knapp 80 000. Eine Tendenz fällt dabei auf: Trugen sich die Fans zunächst nur unter Pseudonymen und ohne Bilder ein, scheinen sie jetzt vermehrt echte Namen und Fotos zu verwenden. Frauen zeigen sich hier übrigens häufig mit lediglich andeutungsweise umgelegtem oder ganz ohne Kopftuch, ein Trend, den Rohanis Gegner wohl auf ihre Art zu sabotieren trachten – eine gewisse Melika Ahmadi, eine der jüngst Hinzugekommenen, präsentiert sich sogar in Reizwäsche, angeblich auf der Suche nach passender Bekanntschaft. Der Auftritt ist offensichtlich ein Fake, die Herkunft der Foto lässt sich nach kurzer Recherche im Netz leicht finden: Sie kursiert seit etwa zwei Jahren auf arabischen Porno-Seiten.
Abkapselung und Abwehr
Dass die Reaktionäre keine Mittel scheuen, um die Kampagne des Präsidenten in den Schmutz zu ziehen, hat seinen Grund. Denn Rohani beharrt darauf, dass das Recht auf freie Kommunikation zu den Grundrechten eines jeden Menschen gehöre. Die von ihm geführte Kampagne für mehr Medienfreiheit wendet sich bewusst gegen die Bunkermentalität, die das Regime besonders unter Mahmud Ahmadinejad im Medienbereich pflegte. Nach wie vor sind Abkapselung und Abwehr bei sämtlichen Zweigen der Revolutionsgarden, die als die eigentlichen Machthaber im Land gelten, das Gebot der Stunde. So auch bei der den Revolutionsgarden unterstehenden einflussreichen Basij-Frauenorganisation. Sie widmete eine der jüngsten Ausgaben ihrer Zeitschrift «Tanin Yas» (etwa: Stimme des Jasmin) dem Thema Sicherheit im Netz, wobei auch die Teilaspekte NSA-Überwachung und kindersicheres Surfen nicht fehlten.
Diese Abwehrhaltung und die Verteufelung des Internets als Einfallstor für Gefahren aus dem Ausland sind ein Dauerbrenner in der Propaganda der iranischen Revolutionsgarden. Eine gegen den Feind USA gerichtete Publikation, die noch vor kurzem auf der Website der Basij präsentiert wurde, verdeutlicht dies. Sie warnt eindringlich vor einem «Medienkrieg» gegen Iran, der von einem «sanften Krieg» begleitet und vom Westen gemeinsam mit den Vertretern des «Zionismus» auf kultureller wie wirtschaftlicher Ebene gegen das Land geführt werde. Illustriert wird dies etwa mit der Fotomontage einer Handgranate, auf der die Logos zahlreicher westlicher Medienanstalten, Unterhaltungskonzerne und sogar Modemarken prangen. Rohanis wiederholte Auftritte, in denen er für die Freiheit der Medien wirbt, werden denn auch regelmässig vom konservativen Teheraner Regierungsblatt «Kahyan» als ein Akt der Kapitulation vor den USA scharf verurteilt.
Bei Kampfrhetorik allein bleibt es in diesem Meinungsstreit nicht. Rohanis Rivalen aus dem konservativen Lager blockieren seine Initiativen durch harte Strafen, mit denen sie einheimische Journalisten und Internetaktivisten in zunehmendem Masse belegen. So hat unlängst ein Revolutionsgericht in Teheran gegen acht Personen, die verschiedene Facebook-Seiten erstellt hatten, insgesamt 127 Jahre Freiheitsstrafe verhängt. Im Juli wurden mehrere regimekritische Journalisten verhaftet, darunter Marzieh Rasouli, die für ihre scharfsinnigen Kommentare in reformorientierten Blättern bekannt ist und der nun eine zweijährige Gefängnisstrafe und 50 Peitschenhiebe drohen. Zuletzt traf es auch mehrere ausländische Journalisten mit iranischem Hintergrund. Am 22. Juli wurden in Teheran Jason Rezaian, dortiger amerikanisch-iranischer Korrespondent der «Washington Post», und seine Ehefrau Yeganeh Salehi, Reporterin der Zeitung «The National» (Vereinigte Arabische Emirate), sowie zwei weitere ausländische Fotojournalisten festgenommen. Lange fehlte jede Spur von ihnen. Nach wochenlangen Protesten aus dem Ausland wurde einer der Fotoreporter auf freien Fuss gesetzt. Die drei anderen Journalisten sollen nach wie vor aus «Gründen der Staatssicherheit» belangt werden, sind aber infolge des anhaltenden Drucks aus dem Ausland zumindest auf Kaution freigelassen worden.
Einer der letzten Beiträge Jason Rezaians in der «Washington Post» handelte von der Anfang Juli in Iran gemeldeten und von der staatlichen Nachrichtenagentur «Farsnews» auch mit einer Fotostrecke dokumentierten Beerdigung des iranischen Piloten Shojaat Alamdari Mourjani. Er diente bei einer Luftwaffeneinheit, die den Revolutionsgarden untersteht. Gemäss den offiziellen Angaben starb er bei der Verteidigung der schiitischen Heiligtümer der irakischen Stadt Samarra. Der dortige Al-Askari-Schrein, eine der wichtigsten heiligen Stätten der Schiiten, prangte denn auch mit seiner goldenen Kuppel auf mehreren Postern , die von Trauernden auf Mourjanis Beerdigungszug hochgehalten wurden. Der Schrein gilt besonders seit knapp einem Jahrzehnt als hochsymbolischer Ort schiitischer Selbstbehauptung: In den Jahren 2005/06 wurde er durch mehrere Anschläge zerstört, nach 2009 aber wiederaufgebaut. Heute ist die Moscheeanlage erneut bedroht, diesmal vom Vernichtungswahn der IS-Jihadisten.
Wenngleich es inzwischen ein offenes Geheimnis ist, dass iranische Militäreinheiten im Irak operieren, hat Teheran dies bisher offiziell nicht bestätigt. Jason Rezaian könnte zum Verhängnis geworden sein, dass er die Meldung über den Tod des Piloten Mourjani als «erste (amtliche) Bestätigung» für den Einsatz iranischer Militärs im Nachbarland auslegte. Seine Frau wiederum dürfte in das Visier von Rohanis Kontrahenten geraten sein, weil sie den Präsidenten als eine der wenigen ihrer Zunft auf seiner jüngsten Reise in die iranischen Provinzen Sistan und Baluchistan begleitete und auch seine Sorge um die rapide Austrocknung von Flüssen und Seen in der Region thematisierte . Ihre Gesprächspartner liess Yeganeh Salehi denn auch Planungsfehler im Bereich der staatlichen Wasserversorgungsprojekte offen beklagen – und für solche sind bekanntlich, auch wenn dies in ihrem Bericht nicht explizit erwähnt wurde, die unterschiedlichen Bauunternehmen der Revolutionsgarden zuständig.
 

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