Patrick Kulow -l-iz.de- 01.12.2014 – Im Interview: ein 11-jähriges Mädchen, das gemeinsam mit der Mutter 2010 aus Mazedonien vor dem eigenen Vater fliehen musste und hoffte, bei der Cousine der Mutter in Deutschland ein neues Leben beginnen zu können. Das Mädchen berichtet von den Erlebnissen im Wohnheim im Landkreis Leipzig und den Wünschen für die Zukunft. – Genauso unterschiedlich, wie "wir Deutschen" sind, genauso unterschiedlich sind auch "die Flüchtlinge", die immer nur als eine Masse gesehen werden. Ein Blick in das Leben einzelner Asylsuchender, in ihre Erlebnisse, ihre Ängste, ihre Sorgen.
Warum bist du nach Deutschland gekommen?
Mein Vater hat viel meine Mama geschlagen und da konnten wir nicht in Familie gehen, weil ich habe nicht ihr Blut und meine Mama wollen die auch nicht. Wir wollten von meinem Vater weg.
War es schwer für dich, dein Zuhause zu verlassen und nach Deutschland zu kommen?
Nein. Ich war fröhlich, dass ich irgendwo anders hinkomme und dass ich mit meiner Mama alleine leben kann.
Welche Hoffnungen/ Wünsche hattest du, als du nach Deutschland gekommen bist? Was hast du gedacht, wird anders?
Dass hier eine andere Kultur ist. Und ich habe gehofft, dass hier endlich mal Ruhe ist.
Was vermisst du von deinem alten Leben?
Nichts. Nur meine Freunde und meine Oma. Die anderen vermisse ich gar nicht.
Wolltet ihr gezielt nach Deutschland oder in ein anderes Land in Europa?
Wir wollten nach Deutschland. Weil hier ist meine Mamas Cousine. Dann haben wir dort die Anmeldung gemacht und sind nach Chemnitz gekommen. Dort war es ganz schrecklich.
Warum?
Naja, da war alles schmutzig und die Männer waren immer betrunken. Da gab’s manchmal Schlägerei und so.
Hattest du in Chemnitz mit deiner Mama ein eigenes Zimmer?
Nur ein Zimmer und die Betten waren so scheiße. Wir sind viermal in andere Zimmer gegangen, weil die Männer immer betrunken waren.
Auf welchem Weg seid ihr nach Deutschland gekommen?
Wir sind einen Tag mit dem Bus gefahren.
Wie ging es weiter, als ihr in Deutschland angekommen seid?
Meine Mamas Cousine hat uns abgeholt und dann sind wir zu ihr gegangen. Dort haben wir uns einen Tag versteckt und sind dann zu meiner Tante. Dann sind wir zur Polizei gegangen und dort hat meine Mama alles gegeben. Dann war eine schwarze Mann da und er hat mit uns geredet und gefragt, gefragt, gefragt und dann haben wir Essen bekommen. Dann sind wir mit dem Zug viel gefahren, es war dunkel.
Welches Gefühl hattest du dann als du in Deutschland warst? Hattest du Angst, warst du glücklich?
Wo ich das Heim in Chemnitz gesehen habe, habe ich zu meiner Mama gesagt, hier schlafe ich nicht. Dort saß ich dann die ganze Zeit und hatte Angst. Die Leute dort waren so dumm und alles war schmutzig. Die Toiletten waren schmutzig und haben gestunken und das Essen schmeckte überhaupt nicht.
Und nach zwei Wochen seid ihr dann in das neue Heim gekommen?
Von Chemnitz sind wir dann mit dem Taxi gefahren. Da haben wir gedacht, wir bekommen eine Wohnung. Dann sind wir hierher gekommen und ich habe gedacht, das ist ja gleich wie Chemnitz. Dort haben wir dann eine Frau kennengelernt und meine Mama hat Kaffee getrunken und sie hatte ein Mädchen, mit dem habe ich gespielt.
Wie war es für dich, in Deutschland in eine neue Schule zu kommen?
Naja, ich war zuerst 1. Klasse. Das war voll einfach.
Hast du schnell Freunde gefunden?
Nein, das war nicht gut. Die haben alle gefragt »Wie heißt du?« und ich habe sie nicht verstanden. Ich bin immer weggegangen, aber alle Kinder sind mir hinterher gekommen und wollten wissen, wie alt ich bin und wie ich heiße, aber ich habe sie nicht verstanden.
Was waren für dich die größten Probleme im Asylheim?
Dass die Männer so dumm sind und manchmal machen die Problem. Und einmal haben die Feuer im Heim gemacht. Das war am schlimmsten. Wenn die Männer Probleme machen, bekomme ich immer Angst. Und der Hausmeister, der war auch schlimm. Im Heim hat es auch immer gestunken. Alle müssen in einer Küche kochen und kochen was anderes, aus andere Land und dann stinkt es übelst.
Wie war das Verhältnis zu anderen Heimbewohnern?
Naja, manche waren gut.
Welche Probleme hattest du im Heim?
Es war immer laut im Heim und da ging es mir schlecht. Ich konnte nie schlafen. Kopfschmerzen hatte ich und Migräne.
Wie ist es für euch, mit Gutscheinen einkaufen zu gehen?
Gut. Wenn die Leute gucken ist es mir egal.
Wie seid ihr denn vorher einkaufen gegangen?
Im Magazin. Da gab’s so ‘nen Keller und da war überall Essen und die Frauen waren so frech. Die lügen manchmal und machen das Essen teurer.
Geht es dir jetzt besser, nachdem du und deine Mutti eine eigene Wohnung bekommen habt?
Ich habe noch Angst. Vor allem vor den Fenstern.
Hast du manchmal Probleme mit anderen Kindern, weil du nicht in Deutschland geboren bist?
Naja, manchmal. Vor allem mit Mädchen. Ein Mädchen hat mal in der Schule gesagt: »Ich hasse Ausländer!« aber das ist mir egal. Ich habe gesagt: »Ich hasse Nazis.«
Hast du Angst davor, nicht in Deutschland bleiben zu dürfen?
Ja, davor habe ich Angst. Manchmal denke ich, es könnte auch Polizei kommen.
Was denkst du, was passieren würde, wenn ihr wieder nach Mazedonien müsst?
Alles würde wieder von vorne anfangen. Meine Mama würde bestimmt tot gemacht werden von meinem Vater. Die Familie würde bestimmt Schlampe sagen und werden denken, dass meine Mama in Deutschland geheiratet hat.
Wie siehst du deine Zukunft?
Manchmal denke ich, ich bleibe in Deutschland und mache meine Schule. Aber manchmal denke ich auch, ich bin nicht so sicher in Deutschland. Ich würde meine Schule fertig machen und vielleicht als Krankenschwester oder Kosmetikerin arbeiten oder im Kinderheim.
Was ist derzeit dein größter Wunsch?
Dass mein Papa uns vergisst. Und dass alles wird wie früher, als meine Mama 14 war und meinen Papa noch nicht kannte.
Was weißt du noch alles über deinen Vater?
Dass er viel Alkohol trinkt und Drogen nimmt. Viele Zigaretten raucht und überall das Geld gibt.
Wurdest auch du von deinem Vater geschlagen?
Mich hat er auch geschlagen. Als ich noch klein war, hat er sich immer mit meiner Mama gestritten und sie geschlagen.
Was findest du nicht gut an Deutschland?
Dass manche Leute nicht Ausländer lieben und denken, die sind einfach so gekommen. Das ist nicht gut. Wir sind hier, weil wir haben viele Probleme und die Deutschen wissen das nicht.
Was sollte Deutschland noch anders machen?
Die könnten ja ein Heim machen, aber wo alle eine eigene Wohnung haben. Mit eigener Dusche und eigener Küche.
Wie ist es für dich, dass deine Mama nicht lesen und schreiben kann?
Das ist für mich schwer. Manchmal bekommen wir Brief und dann sagt sie »Lies mal« Aber das kann ich nicht. Das kommt mir schwer. Ich kann es lesen, aber ich verstehe nicht, was in dem Brief steht.
Gibt es etwas, was du der Welt noch sagen möchtest?
Die Leute sollen meine Geschichte glauben.
Information zum Interview: Dieses hier nur in leicht gekürzter Form wiedergegebene Interview wurde im Juni 2012 mit einer Asylsuchenden, die in einer Gemeinschaftsunterkunft im Landkreis Leipzig untergebracht ist, auf Deutsch von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Bon Courage e.V. geführt. Trotz der Angst der Asylsuchenden vor späteren Konsequenzen waren diese bereit, die Gespräche zu führen und stimmten einer anonymisierten Veröffentlichung zu. An der Lebenssituation der Flüchtlinge hat sich seitdem nicht viel geändert. Das Thema ist genauso aktuell wie vor zwei Jahren. Das vollständige Interview mit dieser und vielen weiteren Asylsuchenden finden Sie in der Broschüre "Von außen sieht es nicht so schlimm aus …" des Bornaer Bon Courage e.V.
Hier ist die Broschüre erhältlich: www.boncourage.de/index.php5?go=856
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