Die Iranische Friedensnobelpreis-Trägerin im Interview

Shirin Ebadi

Mittwoch, 10. Juni 2015, SRF – Auf ihrer Reportage im Iran will die «Rundschau» eine Menschenrechtsaktivistin treffen. Doch diese wird kurz vor dem Treffen vom Geheimdienst verhaftet. Dafür kann SRF Friedensnobelpreis-Trägerin Shirin Ebadi in deren Exil in London treffen. Hier das exklusive Interview.

Shirin Ebadi drohen im Iran Gefängnis und Folter. Darum lebt die Friendensnobelpreis-Trägerin im Exil in London. Im Interview teilt sie die Sorge um ihre inhaftierten Freunde und erzählt über die Missstände in ihrem Land. Sie spricht aber auch über Hoffnung und zeigt die Möglichkeiten der Schweiz auf, der iranischen Regierung die Stirn zu bieten, ohne das Volk zu bestrafen.
SRF: Wie würden Sie die aktuelle Lage der Menschenrechte im Iran einordnen?
Shirin Ebadi: Seit Präsident Rohani an der Macht ist, hat sich die Menschenrechtslage nicht verbessert. Tatsache ist: Die Lage hat sich verschlechtert. Diese Woche haben sie meine Kollegin verhaftet. Sie ist eine sehr bekannte Feministin, Narges Mohammadi. In den vergangenen zwei Monaten haben sie sechs sunnitische Kurden hingerichtet – nur wegen ihrer Glaubensrichtung. Das Ausmass der Hinrichtungen im Iran ist im letzten Jahr exponentiell gewachsen.
Rohani hat versprochen, er würde während seiner Amtszeit den Weg für mehr Bürgerrechte ebnen. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Laut der iranischen Verfassung liegt die Macht in den Händen des Führers. Die Macht des Präsidenten ist sehr eingeschränkt. Rohani wusste dies sehr genau, als er während seines Wahlkampfes all diese wunderschönen, aber komplett leeren Versprechungen gemacht hat. Er versprach, er würde Herrn Moussavi und Herrn Kharroubi freilassen. Er versprach das Ende der Zensur und so weiter. Er wusste genau, dass seine Macht eingeschränkt ist, und trotzdem hat er all diese wunderschönen, aber leeren Versprechungen gemacht.

Verteidiger oder Vertreter der iranischen Regierung sagen, der Iran sei für den Westen immer der Bösewicht, dabei sei dies falsch, man müsse mit dem Finger auch auf Saudi Arabien zeigen, weil auch sie die Menschenrechte missachten. Was sagen Sie zu dieser Logik?
Ja, es stimmt, dass die Lage um die Menschenrechte in Saudi Arabien sogar schlimmer ist als im Iran. Und ja, das ist die westliche Doppelmoral. Aber andererseits ergeben zwei Falsche nicht einen Richtigen. Selbst wenn die Lage der Menschenrechte in Saudi Arabien oder auch in einem anderen Teil der Region noch schlechter ist als im Iran, rechtfertigt dies nicht die Haltung der iranischen Regierung gegenüber den Aktivisten.
Wir sind eine Nation, die aus höchst gebildeten Menschen besteht. Wir haben eine alte Zivilisation. Iraner können diese gewalttätige Regierung nicht länger tolerieren. Es gibt soziale Spannungen im Iran, die seit langem am Brodeln sind. Und um diese Spannungen zu verdecken, benutzt die iranische Regierung die Ausrede der Menschenrechtslage in Saudi Arabien und anderswo, die schlimmer ist als im Iran. Dazu kommt dass der Iran zahlreiche internationale Menschenrechtskonventionen unterzeichnet hat. Aber sie halten diese Konventionen nicht ein, obwohl sie sie unterzeichnet haben. Was wir also von der iranischen Regierung fordern: Wenn ihr unterschrieben habt, um Mitglied dieser Konventionen zu sein, wenn ihr diese akzeptiert habt, dann haltet sie auch ein.
Viele Länder, wie auch die Schweiz, sind daran interessiert Geschäfte mit dem Iran zu machen. Was erwarten Sie von diesen Ländern?
Ich denke jedes Geschäft mit dem Iran ist gut, so lange es keine dubiosen Geschäfte sind. Der Iran kann sich nicht isolieren, kann nicht eine Mauer um sich herum bauen und nicht mehr mit dem Rest der Welt interagieren. Geschäfte sind gut, aber es sollten keine dubiosen Geschäfte sein, es sollten keine Geschäfte sein, die aus der Korruption entspringen. Und wo landet das Geld aus solchen Geschäften? Es landet im Ausland. Also bitte, akzeptiert kein dubioses Geld, weil die Korruption im Iran sehr weit verbreitet ist. Bitte verkauft dem Iran auch keine Überwachungsausrüstung, oder andere Ausrüstung die die Iranische Regierung dazu benutzt um gegen die Aufständischen vorzugehen. Bei den Verhandlungen zu wirtschaftlichen Fragen und Geschäftsfragen bitte opfert nicht die Menschenrechtsprobleme.
Die stellvertretende Direktorin des Zentrums zur Verteidigung der Menschenrechte, Frau Mohammadi wurde am 5. Mai verhaftet. Wie besorgt sind Sie um ihr Wohl?
Die Situation von Narges macht mir grosse Sorgen. Ihr Mann Khabi Rahmani war auch 15 Jahre lang im Gefängnis. Nach den Wahlen im 2009 wurde er auch verhaftet. Aber er hat es geschafft, den Iran zu verlassen. Aber Narges wollte den Iran nicht verlassen. Sie wollte bleiben und ihre Arbeit für die Menschenrechte fortsetzen. Also blieben sie und ihre 8-jährigen Zwillinge im Iran. Narges wurde viele Male verhaftet. Das letzte Mal wurde sie brutal gefoltert und im schlimmsten iranischen Gefängnis platziert. Sie leidet an Muskelschwund und braucht dringen eine Behandlung. Aber diese wird ihr verweigert. Sie muss also so schnell wie möglich freigelassen werden, wenn man auch die Situation mit ihren Zwillingen anschaut. Sie haben weder Vater noch Mutter, die nach ihnen schauen könnte. Also: Ja, ich bin sehr besorgt um ihre Situation.
Ihr Mann wurde gefoltert, er musste öffentlich sagen, dass Sie keine gute Frau sind und den Nobelpreis gar nicht verdient haben. Wenn Sie sehen was im Moment in Ihrem Land vor sich geht, unabhängig davon wer gerade Präsident ist, gab es da jemals einen Moment bei dem Sie dachten die ganze Mühe sei umsonst? Dass nichts sich jemals ändern wird?
Als Menschenrechtsaktivistin darf man sich selber niemals erlauben, die Hoffnung zu verlieren oder jemals müde zu werden. Und ich werde meine Arbeit weiterführen im Wissen, dass meine Arbeit nützlich war. 1980 kurz nach der Revolution hatte ich sehr wenige Anhänger. Manchmal fühlte ich mich, als würde ich mit mir selbst reden im Spiegel. Aber jetzt – nach all diesen Jahren – sind die Menschenrechte im Iran zum Diskussionsthema Nummer eins geworden. Ich habe so viele Anhänger und ich weiss, dass meine Arbeit nicht umsonst war. Als ich meine NGO gestartet habe, das Zentrum zur Verteidigung der Menschenrechte, waren wir die einzige NGO im Iran. Jetzt gibt es viele davon im Untergrund. Und auch ausserhalb des Irans gibt es viele davon. Das ist für mich ein Zeichen unseres Sieges.

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