05.02.2018- DER TAGESSPIEGEL – EVA TEPEST – Im Iran steht gleichgeschlechtlicher Sex unter schwerer Strafe. Junge Lesben finden sich dennoch dank des Internets – und trotz der großen Gefahr, die ihnen droht.
Ziemlich genau in der Mitte Teherans, mit seinen mehr als zwölf Millionen Einwohnern das kulturelle und politische Zentrum des Irans, liegt das Viertel Karimkhan. Hier hat sich das Café Sè in den letzten Jahren zu einem Treffpunkt für Kreative entwickelt. Es gibt einen kleinen Springbrunnen im Garten und Kaffee in allen Variationen. Wenn weiblichen Gästen das lose getragene Kopftuch vom Hinterkopf rutscht, warten sie, oft fünf, manchmal zehn Sekunden, um es zurückzulegen.
An einem der Tische sitzt Pari, die in Wirklichkeit anders heißt. Sie trägt ihr dunkelgraues Kopftuch eher locker und hinter den Ohren. Auch sonst passt sie nicht in das strenge Sittenkonzept des Landes. „Ich wusste schon als Teenager, dass ich Mädchen mag“, erzählt die 25-jährige Studentin aus dem Teheraner Vorort Karaj. „Das Video zu Rihannas ,Te Amo’ sowie der Kuss von Britney Spears und Madonnas bei den Video Music Awards 2003 haben mich sehr neugierig gemacht. Aber ich konnte es nicht artikulieren oder danach handeln.“ In der Islamischen Republik Iran gehören romantische Freundschaften unter Mädchen in der Teenagerzeit dazu. Pari bekam von ihren Schulfreundinnen viele Liebesbriefe – heute sind die meisten von ihnen in heterosexuellen Beziehungen. Inzwischen ist es einfacher, sich zu outen und andere lesbische Frauen zu treffen, erzählt sie: „Wir erkennen einander auf Instagram durch Regenbogen und Einhörner, verabreden uns auf Partys. Es fühlt sich gut an, zu wissen, dass es andere Menschen wie dich selbst gibt.“
Vorsichtige Nutzung sozialer Medien
Sie und ihre Freundinnen bewegen sich vorsichtig auf Sozialen Medien. Dazu gehört, nur private Profile zu benutzen und sich genau zu überlegen, wen sie hinzufügen. Fest steht: Instagram und der Messengerdienst Telegram haben die Sichtbarkeit und Vernetzung junger Lesben erhöht, zumindest in der Metropole Teheran, erklärt Pari. Dabei verweisen Codes queerer Frauen wie kurze Haare, Piercings, weite Klamotten nicht unbedingt auf sexuelle Vorlieben. Häufig sind sie ein geschlechterpolitisches Statement: Ein Tomboy zu sein ist im Iran eine politische Haltung. Denn das iranische Regime basiert auf einer Geschlechterordnung, in der Frauen ebenso wie Männern ein bestimmter Platz in Staat, Öffentlichkeit und Familie zugewiesen wird. Einer patriarchalen Ordnung, nach der offene Homosexualität ebenso verfolgt wird wie politischer Feminismus. „Es gibt keine Organisation von Lesben im Iran – das wäre lebensgefährlich“, sagt Pari.
Homosexualität ist im Iran illegal, alle Akte – von leidenschaftlichem Küssen bis zu penetrativem Sex – werden mit Körperstrafen geahndet. Nach Artikel238 des iranischen Strafrechts ist die vorgesehene Strafe für mosaheqeh, das Aneinanderreiben von weiblichen Genitalien, 100 Peitschenhiebe. Homosexualität gefährdet nach Ansicht des Regimes die öffentliche Ordnung, weshalb es Schwulen und Lesben ihre Identität abspricht. So erklärte im Jahr 2007 der damalige Präsident Mahmud Ahmadinedschad vor Studierenden der Columbia University in New York: „Es gibt keine Homosexuellen im Iran.“
Die Koransuren zum Thema sind uneindeutig
Gleichgeschlechtliches Begehren wird als Krankheit eingestuft, den Kranken wird zu einer Operation geraten. Homosexuelle seien im falschen Körper geboren. Vollziehen sie die zur Hälfte staatlich bezahlten OP’s, ist ihr Begehren rechtmäßig und gottgefällig gegengeschlechtlich. Anderen werden Psychopharmaka verschrieben, um ihre angebliche Krankheit zu heilen. Auch der vorherrschenden islamischen Rechtsauslegung zufolge werden homosexuelle Praktiken verurteilt. Dabei sind die zugrundeliegenden Koransuren uneindeutig: Wie in der Bibel beziehen sie sich auf das Volk Lot, zu dessen Sünden auch sexuelle Akte zwischen Männern gezählt werden. Allgemeine Regelungen gibt es ebenso wenig wie konkrete Sanktionen, Lesben werden nicht erwähnt. Auch vor der Revolution 1979 war Homosexualität im Iran illegal, die Strafen jedoch weniger drakonisch.
Auch die gebildete Mittelschicht lehnt gleichgeschlechtliche Liebe ab
So bleibt für Homosexuelle als einzige Option die Unsichtbarkeit. „Zwei Mädchen, die zusammen unterwegs sind, werden als Schwestern oder beste Freundinnen gelesen. Und wenn es romantisch wird, denken die Leute, dass das nur eine Phase ist“, erklärt Pari. Die gesellschaftliche Akzeptanz höre dann auf, wenn Frauen sich dem heterosexuellen Familienmodell und ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter verweigerten. Nicht nur das Regime, sondern eine Mehrheit der iranischen Gesellschaft lehne Homosexualität ab, selbst in der gebildeten Mittelschicht. „Meine Mutter ist Ärztin. Sie betrachtet Lesben als Kranke, als schmutzig, als therapiebedürftig“, berichtet Pari.
Vor ihrer Familie kann sie sich nicht outen. Die Lage von Lesben wird durch die Entrechtung von Frauen im Iran weiter verschärft. Mädchen können regulär mit 13, mit Sondergenehmigung auch schon mit acht Jahren verheiratet werden – vor der Pubertät und bevor sie ihr Begehren entdecken können. Häusliche Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe sind nach iranischem Recht kein Tatbestand. Frauen sind oft finanziell abhängig von ihren Ehemännern, die zudem als ihr gesetzlicher Vormund agieren.
Pari will das Land verlassen – wie alle ihre Freundinnen
Pari hat die Hoffnung auf eine politische Umwälzung im Iran und eine Verbesserung von Frauen- und LGBT-Rechten aufgegeben, besonders nach der Niederschlagung der „Grünen Bewegung“ 2009. Frauen wie sie – gebildet, jung, feministisch – hatten die Protestbewegung mitgetragen, bei den jüngsten Demonstrationen blieben sie der Straße fern. Sie will, wie alle ihre Freundinnen, das Land verlassen.
Nazila Karimy unterstützt bei der Lesbenberatungsstelle LesMigras in Berlin queere Geflüchtete aus dem Iran. „Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird lesbischen Frauen oft nicht geglaubt, dass sie homosexuell sind“, erklärt sie. Oft müssten Asylsuchende intime Details zu ihren sexuellen Erfahrungen preisgeben. Andere Anträge würden mit der Begründung abgelehnt, dass LGBT-Personen sich mit ihrem Leben im Iran hätten arrangieren müssen. „Die Behörden haben keine Vorstellung von der Situation im Iran und davon, dass das offene Ausleben der sexuellen Identität wesentlich für ein glückliches und selbstbestimmtes Leben ist“, sagt Karimy.
Auch in Deutschland hören die Probleme nicht auf
Auch wenn dem Asylantrag stattgegeben werde, hörten die Probleme nicht auf. Denn LGBT-Personen aus dem Iran litten in Deutschland unter der Mehrfachdiskriminierung von Homofeindlichkeit und Rassismus. „Da gibt es leider auch ein großes Problem in der LGBT-Community selbst“, erklärt Karimy. Diese müsse sich in Solidarität üben. Darauf hofft auch Pari: „Die internationale LGBT- und feministische Community kann dabei helfen, uns sichtbar zu machen. Alle müssen wissen, dass es uns gibt.“
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