Seit dem Tod von Mahsa Amini gehen Zehntausende im Iran auf die Straße. Nachrufe auf vier mutige junge Frauen, die im Protest ihr Leben verloren
14, Oktober 2022, Von Viola Koegst- Zeit- Nachdem Mahsa Jina Amini mutmaßlich gewaltsam umgekommen ist, protestieren Iranerinnen und Iraner im ganzen Land für Freiheit, Frauenrechte und Gerechtigkeit. Das Regime stellt sich ihnen mit Gewalt entgegen. Laut Amnesty International wurden bereits über 130 Protestierende getötet. Vier Nachrufe auf junge Frauen, deren Tod die Proteste antreibt.
Nika Schakarami
Nika Schakarami ist zu einer der jüngsten Symbolfiguren der Proteste im Iran geworden. Sie starb wenige Tage vor ihrem 17. Geburtstag – offiziell durch einen Unfall, laut ihrer Familie wurde sie erschlagen. Schakarami stammte aus dem Westen des Landes und lebte in Teheran bei ihrer Tante, wie die Teheraner Zeitung Hamshahri schreibt. Sie soll in einem Café gearbeitet und gerne gemalt haben, berichtete der iranische Radiosender Zamaneh. Bilder zeigen sie in schwarzen Baggy Pants und mit dunkel geschminkten Augen. In einem Video steht sie auf einer Bühne und singt. Es scheint ihr zu gefallen, im Mittelpunkt zu stehen.
Ihre Mutter gab später an, Schakarami sei am 19. September von der Wohnung der Familie in Teheran losgezogen, um sich den Protesten anzuschließen. Dabei soll sie ein Handtuch und eine Flasche Wasser mitgenommen haben – wohl, um sich vor Tränengas zu schützen. Am Abend soll Schakarami noch Kontakt zu ihrer Mutter und Freunden gehabt haben. In der letzten Nachricht habe sie geschrieben, dass sie auf der Flucht vor Sicherheitskräften sei. Danach sei ihr Handy ausgeschaltet gewesen, und ihre Profile in den sozialen Medien seien gelöscht worden. Zehn Tage lang habe ihre Familie Schakarami gesucht, bis sie sie in einer Leichenhalle identifizieren konnten, sagte ihre Tante gegenüber BBC Persian.
Währenddessen wurden im Internet Vorwürfe laut, sie sei von Sicherheitskräften umgebracht worden. Die Polizei erklärte, Schakarami sei von einem Gebäude gestürzt, Nachbarn hätten ihre Leiche am nächsten Tag entdeckt. Das berichtete die iranische Nachrichtenagentur Tahsim. Schakaramis Mutter sagte dagegen in einem Radiointerview, dass ihre Tochter laut des forensischen Berichts an Schlägen gegen den Kopf gestorben sein müsse.
Sarina Esmailzadeh
Auch Sarina Esmailzadeh war erst 16 Jahre alt, als sie am 23. September starb. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtet unter Berufung auf einen Zeugen, dass ihr bei den Protesten in der Stadt Karadsch Sicherheitskräfte mit Schlagstöcken auf den Kopf geschlagen hätten. Die iranische Justiz-Website Misan Online schrieb hingegen, Esmailzadeh habe Suizid begangen, indem sie von einem Gebäude gesprungen sei. Amnesty gibt weiter an, Esmailzadehs Familie sei bedroht worden, um sie zum Schweigen zu bringen.
Esmailzadeh soll gerne Volleyball gespielt haben und hatte einen YouTube-Kanal, auf dem sie Vlogs aus ihrem Leben veröffentlichte. In einem Video sitzt sie mit ihrer Schwester auf der Rückbank eines Autos und singt laut den Song Take Me to Church des Sängers Hozier. In einem anderen Clip kommt sie aus einer Prüfung und zeigt sich erleichtert: “Nichts fühlt sich besser an als Freiheit.” In die Beschreibung unter dem Video hat sie geschrieben: “Ich dachte immer, mein Leben sei langweilig, aber seit ich diesen Vlog habe, wurde mir klar: Mein Leben ist irgendwie cool.”
Im Mai postete sie ein Video, in dem sie über Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen im Iran spricht. Sie beklagte zum Beispiel die Pflicht, einen Hidschab zu tragen. “Unsere kulturelle Situation ist desaströs”, sagt die Jugendliche, als sie in ihrem Zimmer sitzt und ein Shirt mit Comicfiguren-Druck trägt. “Es gibt Einschränkungen für Frauen, wie den Kopftuchzwang. Und viele andere Einschränkungen, die es für Männer nicht gibt.”
Hadis Najafi
Hadis Najafi starb im Alter von 22 Jahren durch Schrotkugeln in Gesicht, Hals und Brust. Sie war am 21. September auf den Straßen der Stadt Karadsch unterwegs, um für Freiheit zu demonstrieren. Laut Amnesty Iran trafen sie die Kugeln aus nächster Nähe. In einem Bericht der BBC heißt es, die Behörden hätten ihren Vater dazu gedrängt, einen Herzinfarkt als Todesursache anzugeben.
Najafi war beliebt auf Instagram und TikTok. Sie postete oft Tanzvideos, darin trägt sie bunte Outfits, oft bauchfrei. Im Internet kursiert ein Video, das Najafi auf dem Weg zur Demonstration zeigen soll. “Ich hoffe wirklich, dass sich in ein paar Jahren alles ändert”, sagt sie darin. Dann werde sie glücklich darüber sein, an den Protesten teilgenommen zu haben.
Die iranische Journalistin und Aktivistin Masih Alinejad postete ein Video von Najafis Beerdigung auf Twitter und beschrieb sie als “herzensgutes Mädchen, das es liebte, zu tanzen”. Najafi hatte Berichten zufolge Modedesign studiert und in einem Restaurant gejobbt. Sie soll als viertes von fünf Kindern als Tochter aserbaidschanischer Eltern in Karadsch geboren worden sein. Nach ihrem Tod nutzten Zehntausende den Hashtag mit ihrem Namen, um über die Proteste zu informieren.
Mahsa Jina Amini
Seit Mahsa Aminis Beerdigung am 17. September demonstrieren Menschen im Iran täglich für “Frauen, Leben, Freiheit.” Amini wurde 22 Jahre alt. Am 13. September wurde sie in Teheran festgenommen, weil sie ihr Kopftuch nicht vorschriftsmäßig getragen haben soll. Drei Tage später war sie tot.
Mahsa Amini wurde im Jahr 2000 in der Stadt Saqqez im kurdischen Westen Irans geboren und wuchs dort mit ihren Eltern und einem Bruder auf. Ihre Familie nannte sie bei ihrem kurdischen Namen Jina, der von den iranischen Behörden aber nicht anerkannt wurde – in ihrem Pass stand deshalb der Name Mahsa.
Im Internet zeigte sich die junge Frau mal lässig in Jeans und Pulli, mal mit rot geschminkten Lippen, mal in einem traditionellen Kleid mit goldenem Gürtel und passendem Haarschmuck. Die Haare trägt sie auf den Bildern oft unbedeckt. Sie soll aber nicht politisch aktiv gewesen sein. Amini war Mitte September in Teheran, um Verwandte zu besuchen, als sie von der Sittenpolizei festgenommen wurde. Was danach mit ihr geschah, ist nicht geklärt. Augenzeugen sollen berichtet haben, dass Amini noch im Polizeiwagen geschlagen wurde. Im Internet kursiert ein Foto der jungen Frau, wie sie im Koma im Krankenhaus liegt – mit einer Bandage am Kopf.
Die rechtsmedizinische Organisation des Iran (IMO) veröffentlichte die offizielle medizinische Erklärung für Aminis Tod erst vergangene Woche im Staatsfernsehen. Demnach sei sie “nicht durch Schläge” gestorben, sondern an den Folgen einer Operation wegen eines Gehirntumors in ihrer Kindheit. Aminis Vater betonte dagegen, seine Tochter sei bei ihrer Festnahme “bei bester Gesundheit” gewesen. Ihm wurde die Einsicht in die Akten verwehrt.
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