Droht Protestteilnehmern die Todesstrafe?

07.11.2022 -tagesschau- Während Menschenrechtler schwere Vorwürfe gegen das Regime in Iran erheben, machen sich die Parlamentsabgeordneten für ein “göttliches Urteil” stark. Auch wer nicht selbst an den Protesten im Iran teilnimmt, gerät ins Visier.

Von Katharina Willinger, ARD-Studio Istanbul

Wer im Iran auf die Straße geht, um zu protestieren, weiß: Im schlimmsten Fall kostet mich das mein Leben. Dass diese Einschätzung keinesfalls übertrieben ist, belegen ganz trocken die Zahlen: Mehr als 300 getötete Demonstranten registrieren Menschenrechtsorganisationen seit Beginn der Proteste, laut Amnesty International sind darunter mindestens 30 Minderjährige. Das jüngste Todesopfer ist demnach elf Jahre alt.

Amnesty International dokumentiert das Vorgehen von Polizei, Milizen und Sondereinsatzkräften und kommt dabei zu erschreckenden Erkenntnissen: “Sie schießen immer wieder mit scharfer Munition direkt in Menschenmengen. Und sie benutzen kleine Metallgeschosse, die zersplittern und tief in den Körper eindringen, wo sie schwere Verletzungen verursachen”, sagt Raha Bahreini, Menschenrechtsanwältin und Iran-Verantwortliche bei Amnesty.

Im Krankenhaus warten die Beamten

Im Netz kursieren furchtbare Bilder von nackten Körpern, die großflächig mit diesen Wunden übersät sind – die tödlich sein können, vor allem dann, wenn sie nicht behandelt werden. Und das komme oft vor, sagt Bahreini, denn die Demonstranten könnten nicht einfach so ins Krankenhaus: Dort warteten bereits Beamte mit Handschellen. Deswegen gebe es ein Netzwerk von Ärzten und medizinischem Personal, die heimlich und meist nachts Verletzte zu Hause versorgen.

Das ARD-Studio Istanbul hat eine dieser Ärztinnen per Nachricht übers Handy erreicht. Sie schreibt: “Wir tun, was wir können, um den Menschen zu helfen. Oft sind die Wunden bereits stark entzündet. Und manchmal sind unsere Mittel begrenzt. Es ist einfach furchtbar.”

Das heißt: Manchmal kommt die Hilfe zu spät. In anderen Fällen wurden Mediziner selbst festgenommen, als herauskam, dass sie verletzte Demonstranten behandelt hatten. Darauf angesprochen schreibt die Ärztin: “Ich habe Angst, ja. Aber ich tue nichts Falsches. Das sage ich mir immer wieder.”

Vorverurteilung im Vorabendprogramm

Doch selbst wer sich nur solidarisch erklärt oder die Gewalt des Staates verurteilt, gerät ins Visier des Regimes: Mittlerweile sollen laut Menschenrechtsaktivisten mehr als 14.000 Menschen festgenommen worden sein – nicht alle waren selbst auf der Straße.

Der Staat selbst macht dazu keine genauen Angaben. Anders bei den Gerichtsverfahren: Mehr als 2000 sollen eröffnet worden sein. Die ersten Prozesse haben bereits begonnen und wurden direkt in Ausschnitten im Fernsehen übertragen. Das Kalkül dahinter: Sie sollen eine abschreckende Wirkung entfalten. Eine unabhängige Verteidigung haben die Angeklagten dabei nicht. Menschenrechtsorganisationen sprechen von Schauprozessen mit vorskizziertem Ausgang.

Andere Verhaftete werden den Reportern des iranischen Staatsfernsehens in Sträflingskleidung und mit verbundenen Augen zum Interview vorgeführt. Er habe einen Basij-Milizen umgebracht, sagt der ihn begleitende Offizier. Der junge Mann verneint mit dünner Stimme. Vorverurteilung im Vorabendprogramm.

“Krieg gegen Gott” als Anklage

Da viele der Demonstranten unter 30 Jahren und deutlich jünger sind, vergreift man sich auch an denen, die die Jugend im Land mit ihrer Kritik bei Instagram und in anderen sozialen Netzwerken erreichen. Zwei bekannte Rapper, Tomaj Salehi und Saman Yassin, sind inhaftiert und laut ihrem Umfeld schwerer Folter ausgesetzt. Gegen den kurdischen Künstler Yassin wurde laut der Menschenrechtsorganisation Hengaw bereits die Anklage “Krieg gegen Gott” erhoben. Dieser Vorwurf bedeutet in vielen Fällen die Todesstrafe.

Geht es nach dem iranischen Parlament, sollte die Justiz diesen Vorwurf noch umfassender einsetzen. In einer am Sonntag von iranischen Staatsmedien veröffentlichten Erklärung fordern 227 von 290 Abgeordneten die Justiz auf, “sich so schnell wie möglich mit diesen Menschen, die gegen Gott kämpfen” zu befassen und “ein göttliches Urteil über sie” zu erlassen. Todesurteile im Schnellverfahren sozusagen – und ein Beleg dafür, dass man sich innerhalb des Staates kaum bis gar nicht für mahnende Worte aus dem Ausland interessiert.

Erst am Freitag hatten die Außenminister der G7-Staaten das Vorgehen und die Gewalt gegen Demonstranten im Iran scharf verurteilt und die iranischen Behörden dazu aufgefordert, den aktuellen Menschenrechtsverletzungen im Land nachzugehen – dieselben Behörden, die für Festnahmen, Anklagen und Todesurteile verantwortlich sind.

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